BGH: Trügerische Sicherheit durch Aufklärungsbögen

Sie gehören zum Alltag bei der Durchführung ärztlicher Eingriffe und es gibt sie in schier unend­licher Anzahl: Aufklärungsbögen. Sie sollen das Arzt-Patienten-Gespräch unterstützen, bei dem es darum geht, den Patienten umfassend über den geplanten Eingriff, seine Not­wendigkeit sowie über mögliche Komplikationen und die Art und Schwere des Eingriffs aufzuklären (zu weiteren Einzelheiten s. § 630e BGB). Nur dann, wenn eine ordnungsgemäße Aufklärung erfolgt, kann die im Anschluss daran vom Patienten gegebene Einwilligung in den ärztlichen Heileingriff wirksam und dieser wiederum rechtmäßig sein.

Hinsichtlich der Beschreibung der in Betracht kommenden Risiken gilt, dass es reicht, den Patienten „im Großen und Ganzen“ über Chancen und Risiken der Behandlung aufzuklären und ihm dadurch eine allgemeine Vorstellung von dem Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren zu vermitteln, ohne diese zu beschönigen oder zu verschlimmern. Dabei müssen dem Patienten zwar keineswegs genaue oder annähernd genaue Prozentzahlen mitgeteilt werden, was die Möglichkeit der Verwirklichung eines Behandlungsrisikos betrifft. Doch darf der Arzt bei dem Patienten durch die unzutreffende Darstellung der Risikohöhe keine falsche Vorstellung über das Ausmaß der mit der Behandlung verbundenen Gefahren erwecken und dadurch ein verhältnismäßig häufig auftretendes Operationsrisiko verharmlosen. Denn mit einer solchen Aufklärung kommt der Arzt seiner Aufklärungspflicht nicht in ausreichendem Maße nach, so der BGH (Urteil vom 29.01.2019, Az. VI ZR 117/18). Dies gilt auch für die Inhalte von Aufklärungsbögen, wie ein aktueller Beschluss des BGH zeigt (Beschluss vom 16.08.2022, Az. VI ZR 342/21).

Der Fall

Bei der Klägerin wurde im Krankenhaus der Beklagten zu 1 ein Tumor des Keilbeinflügels rechtsseitig festgestellt und die Patientin wenige Tage später über den beabsichtigten Eingriff zur Entfernung des Tumors informiert. Der die Aufklärung durchführende Arzt hatte im Gespräch mit der Klägerin bei der Aufzählung der Risiken im Aufklärungsbogen diejenigen Risiken unterstrichen, die er für besonders relevant hielt. Nicht unterstrichen wurde die Passage, dass es zu schweren und insbesondere dauerhaften Ausfällen kommen könne. Wenig später wurde die Klägerin durch den Beklagten zu 2 operiert und der Tumor entfernt. Postoperativ zeigte sich eine linksseitige Hemiparese, die auch in der Folgezeit bestehen blieb.

Die Klägerin machte geltend, sie sei nicht im erforderlichen Umfang über die Schwierigkeit der Operation und ihre Risiken aufgeklärt worden. Ausdrücklich beanstandete sie die Passage im Aufklärungsbogen als fehlerhaft, wonach es nur „selten“ zu schweren bleibenden Störungen komme, obwohl in ihrem konkreten Fall der Gerichtssachverständige ausgeführt hatte, dass diese Operationen per se mit einer sehr hohen Morbidität verbunden seien und in einer Studie 20 % der operierten Patienten schwere und 30 % der Patienten moderate neurologische Defizite zeigten. Diese Daten belegten, dass trotz sorgfältigster präoperativer Diagnostik vaskuläre Komplikationen im Rahmen einer solchen komplexen Operation nicht nur nicht vermeidbar seien, sondern sogar mit einer Häufigkeit von bis zu 50 % angegeben würden. Bei ihr (der Klägerin) seien diese Risiken wegen der starken Durchblutung des Tumors und dessen Verzahnung mit dem Hirngewebe sogar noch erheblich erhöht. Sowohl das Landgericht Trier als auch das OLG Koblenz als Berufungsinstanz wiesen die Klage bzw. die Berufung der Klägerin zurück.

Die Entscheidung

Der BGH befand, dass das OLG Koblenz sich mit der Bewertung des Risikos schwerer bleibender Störungen als „selten“ und (aller) Komplikationsmöglichkeiten als „Ausnahme“ in dem Aufklärungsbogen trotz der Ausführungen des Gutachters und der Beanstandung der Klägerin nicht befasst habe. Damit habe das Gericht den im Grundgesetz verankerten Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Denn es sei nicht ausgeschlossen, dass das OLG Koblenz unter Berücksichtigung des übergangenen Vortrags letztlich zu der Überzeugung gelangt wäre, dass durch Verharmlosungen bei der Patientin eine falsche Vorstellung von dem Ausmaß der mit der Behandlung verbundenen Gefahr erzeugt worden ist. Das Risiko eines neurologischen Defizits dürfte mit „Ausnahme“, „selten“ oder „wird sich zurückbilden“ jedenfalls nicht zutreffend beschrieben sein. Der BGH hob das Berufungsurteil daher auf und verwies den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung an das OLG Koblenz zurück.

Fazit

Kernaussage des Beschlusses ist, dass sich die Behandlerseite nicht „blind“ auf die Inhalte der Aufklärungsbögen verlassen darf, auch wenn diese tagtäglich tausendfach zur Anwendung kommen. Fehlerhafte Angaben in diesen Bögen können zur Unwirksamkeit der Patientenaufklärung führen, weshalb ihre Inhalte stets kritisch zu hinterfragen sind.

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