Kontroverses Triage-Gesetz auf dem Weg

Militärkolonnen transportieren Särge mit Coronatoten. Die Bilder aus dem italienischen Bergamo im Frühjahr 2020 wirken bis heute nach. Die Pandemie hatte Europa erreicht, die Krankenhäuser vor Ort waren mit dem Ansturm schwerkranker Patienten überfordert.

Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts

Am 16.12.2021 entschied das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 16.12.2021, Az. 1 BvR 1541/20), dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, Vorkehrungen für den Fall einer Triage zu treffen. Im Allgemeinen wird darunter eine Situation verstanden, in der nicht ausreichende Kapazitäten vorhanden sind, um alle Behandlungsbedürftigen auch tatsächlich zu behandeln, so dass eine Auswahlentscheidung getroffen werden muss (zum Thema s. auch unseren Beitrag vom 20.05.2020, zu finden unter: BDO LEGAL INSIGHTS).

Erster Gesetzentwurf

Anfang Mai 2022 erschien daraufhin ein erster Gesetzentwurf, der die wesentlichen Vorgaben für einen solchen Entscheidungsprozess regeln sollte. Dieser Entwurf stieß allerdings auf erhebliche Kritik, insbesondere weil eine sogenannte Ex-post-Triage vorgesehen war. Unter dieser Bezeichnung ist die Möglichkeit zu verstehen, eine bereits begonnene Therapie zu Gunsten eines anderen Patienten, der eine höhere Überlebenschance als der zurzeit Behandelte aufweist, abzubrechen.

Dieser Gesetzentwurf wurde nach öffentlicher Kritik zurückgezogen und ein abgeänderter Gesetzentwurf vorgelegt.

Inhalt des Triage-Gesetzes

Nunmehr hat der Bundestag ein entsprechendes Triage-Gesetz am 10.11.2022 beschlossen.

Eine Ex-post-Triage ist nicht mehr vorgesehen. Im Infektionsschutzgesetz (IfSG) soll geregelt werden, dass bei der Entscheidung über die Zuteilung von pandemiebedingt unzureichend vorhandenen überlebenswichtigen intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten keine Benachteiligungen einzelner Personen eintreten dürfen, insbesondere nicht wegen einer Behinderung, der Gebrechlichkeit, des Alters, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung. Die Entscheidung über die Zuteilung soll nur aufgrund der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit der betroffenen Personen getroffen werden. Die Zuteilungsentscheidung muss „einvernehmlich“ von zwei Fachärztinnen oder -ärzten getroffen werden, die zudem im Bereich Intensivmedizin praktizieren, hier über mehrjährige Erfahrung verfügen und die betroffenen Patienten „unabhängig voneinander begutachtet haben“. Können sich die zwei Fachkräfte nicht einigen, müssen die betroffenen Patienten von einer weiteren Ärztin oder einem Arzt begutachtet werden, anschließend entscheidet die Mehrheit.

Das Gesetzgebungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Der Bundesrat muss jedoch nicht zustimmen.

Kritik am Gesetz

Auf Kritik stößt auch die aktuell beschlossene Fassung des Gesetzes. Zum einen bezieht sich das Gesetz nur auf eine Triage im Rahmen einer Pandemie. Andere Unglücksfälle, wie z.B. Kriege, Naturkatastrophen, Anschläge werden nicht erfasst, so dass sich bereits die Frage stellt, aus welchem Grund hier die Anwendbarkeit begrenzt wird. Zum anderen ist der Schutz behinderter Menschen insoweit eingeschränkt, als dass bei ihnen häufig Begleiterkrankungen bestehen, die die aktuelle kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit beeinflussen können. Die Abgrenzung zu einer nicht zu berücksichtigenden Behinderung dürfte hier kaum möglich sein. Von Ärzteverbänden wird kritisiert, dass durch die gesetzlichen Vorgaben in die am Einzelfall orientierten Entscheidungsmöglichkeit des behandelnden Arztes zu stark eingegriffen wird und die Reglementierung zu gesteigerter Rechtsunsicherheit führt, da eine „aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit“ wenig trennscharf ist.

Fazit

Die fortbestehende Kritik an der aktuellen Gesetzesfassung verleitet zu emotionalen Kontroversen. Dabei ist der Anwendungsbereich des Gesetzes begrenzt. Selbst in der Hochphase der Corona-Pandemie kam es in Deutschland nicht zur Anwendung einer klassischen Triage im Sinne des jetzt beschlossenen Gesetzes. Demgegenüber werden von behandelnden Ärzten tagtäglich Priorisierungsentscheidungen abverlangt, die gesetzlich ungeregelt bleiben (werden). Die Vehemenz der bislang theoretischen Diskussion ist durch die mediale Berichterstattung und den öffentlichen kritischen Diskurs stark beeinflusst.

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