EuGH: Einsichtnahme in Behandlungsunterlagen – Keine Erstattung von Kosten für erste Kopie

EuGH: Einsichtnahme in Behandlungsunterlagen – Keine Erstattung von Kosten für erste Kopie

In § 630g Abs. 2 BGB ist seit dem Jahr 2013 geregelt, dass ein Patient, der einen Anspruch auf eine Abschrift seiner Patientenakte hat, dem Arzt die Kosten der Anfertigung der Kopien erstatten muss. Art. 12,15 der erst einige Jahre später in Kraft getretenen Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) sehen dagegen vor, dass Auskünfte unentgeltlich erfolgen müssen. Nur bei offenkundig unbegründeten oder wiederholten Anträgen ist ein angemessenes Entgelt zulässig. Doch was gilt nun? Haben Patienten die Kosten für Kopien nun zu tragen oder nicht? Mit dieser lange kontrovers diskutierten Frage hatte sich der EuGH zu beschäftigen und hat eine wegweisende Entscheidung getroffen (s. dazu auch BDO LEGAL INSIGHTS). 

Der Fall

Ein Patient forderte seine Zahnärztin auf, ihm eine Kopie seiner Krankenakte zu überlassen. Er wollte Haftungsansprüche gegen sie geltend machen, da ihr seiner Meinung nach Fehler bei seiner Behandlung unterlaufen sein sollen. Dem Wunsch kam die Ärztin nach und stellte dem Patienten – wie es § 630g Abs. 2 BGB erlaubt - die Kosten für die Kopien in Rechnung. 
Im ersten Rechtszug vor dem AG Köthen und in der Berufungsinstanz beim LG Dessau-Roßlau war der Patient erfolgreich. Beide Entscheidungen beruhten auf einer Auslegung der anwendbaren nationalen Vorschriften im Lichte der Art. 12 Abs. 5 und Art. 15 Abs. 1 und 3 Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO). Die Zahnärztin ging in Revision und zog vor den BGH. Mit Beschluss vom 29.03.2022 (Az. VI ZR 1352/20) setzte dieser das Verfahren aus und legte die Sache dem EuGH vor, da es für den Erfolg der Revision auf die Auslegung der DS-GVO ankommen sollte. 

Die Entscheidung

Mit Urteil vom 26.10.2023 (Az. C-307/22) entschied der EuGH, dass ein Patient das Recht habe, unentgeltlich eine erste Kopie seiner Patientenakte zu erhalten. Der Patient müsse sein Verlangen auch nicht begründen. Der EuGH begründet die Pflicht der Zahnärztin, unentgeltlich eine Kopie der Patientenakte zur Verfügung zu stellen, mit der Stellung der Ärztin. Als behandelnde Ärztin sei sie als Verantwortliche im Sinne der DS-GVO für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten des Patienten einzuordnen. Der Patient dürfe eine vollständige Kopie der Dokumente verlangen, die sich in der Patientenakte befinden, wenn dies für das Verständnis erforderlich sei. Dies schließt Daten aus der Patientenakte ein, die Informationen wie beispielsweise Diagnosen, Untersuchungsergebnisse, Befunde der behandelnden Ärzte und Angaben zu Behandlungen oder Eingriffen enthalten. Selbst wenn das für Ärztinnen und Ärzte Zeit und Aufwand bedeute, müssten die wirtschaftlichen Interessen der Behandler zurückstehen, damit das Auskunftsrecht der DS-GVO praktisch wirksam ist. 
Anders sei der Fall gelagert, wenn der Patient bereits eine Kopie der Akte erhalten habe und eine weitere wünscht. Dann, so der EuGH, könne der Verantwortliche ein Entgelt für die Zurverfügungstellung verlangen.
 

Fazit
Die Entscheidung des EuGH ist – nicht nur aus Patientensicht – zu begrüßen, da mit ihr umstrittene Fragen der DS-GVO geklärt wurden. Dies verschafft den deutschen Gerichten ein Stück mehr Klarheit, wenngleich längst nicht alle Rechtsfragen im Zusammenhang mit der DS-GVO geklärt sind und sicher weitere Fragen noch entstehen werden. Im hier vorliegenden Fall muss nun noch der BGH entscheiden.