Mit Urteil vom Mit Urteil vom 30.06.2022 (Az. V R 36/20) entschied der BFH über die Frage der steuerlichen Behandlung eines Verzichts auf das Recht zur Privatliquidation gegen monatliche Ausgleichszahlungen. Nach Auffassung des 5. Senats liegt in einer solchen Verzichtserklärung, die ein Chefarzt gegenüber dem Klinikträger ausspricht, eine steuerbare Leistung, die insbesondere nicht als Verzicht auf die zukünftige Erbringung von Heilbehandlungsleistungen gegenüber den Privatversicherten steuerfrei ist. Anders entschieden hatte zuvor das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht mit Urteil vom 30.09.2020 (Az. 4 K 67/18). Auf die Revision des Finanzamts hin, wurde das erstinstanzliche Urteil durch den BFH aufgehoben und die Klage des Chefarztes abgewiesen.
Der Fall
Der Kläger war als Professor der Medizin an einer Universität beschäftigt und daneben als Direktor und Chefarzt einer medizinischen Klinik tätig. Aufgrund einer beamtenrechtlichen Nebentätigkeitserlaubnis war es ihm gestattet, Patienten privat zu behandeln und die Leistungen entsprechend zu liquidieren. Dieses Liquidationsrecht wurde ihm bis zu seinem Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis auch durch ein entsprechendes Landesgesetz zugesichert.
Mit der Universität und dem Klinikträger traf der Chefarzt eine dreiseitige Vereinbarung, wonach er zukünftig (ausschließlich) in einer universitären Forschungseinrichtung wissenschaftlich tätig werden und gleichzeitig auf die Klinikleitung und das damit zusammenhängende Liquidationsrecht zu Gunsten des Klinikträgers verzichten sollte. Für diesen Verzicht zur Privatliquidation und „sämtlicher sonstiger … finanzieller Nachteile“, die mit der dreiseitigen Vereinbarung verbunden waren, erhielt der Chefarzt vom Klinikträger einen finanziellen Ausgleich, der bis zum Eintritt des Klägers in den Ruhestand monatlich zu zahlen war.
Nach Auffassung der Finanzverwaltung handle es sich bei dem Verzicht des Klägers auf sein Liquidationsrecht zugunsten der Klinik um eine umsatzsteuerbare und umsatzsteuerpflichtige (sonstige) Leistung, so dass entsprechende Umsatzsteuerbescheide gegenüber dem Kläger erlassen wurden.
Das Finanzgericht Schleswig-Holstein gab der Anfechtungsklage des Klägers mit der Begründung statt, dass der Verzicht auf das Recht zur Privatliquidation als Abfindung im Rahmen seiner beamtenrechtlichen Stellung zu qualifizieren sei, so dass der Kläger keine Leistung als Unternehmer i.S.d. § 2 UStG erbracht habe. Zum anderen handle es sich um eine Verzichtsleistung betreffend eine steuerfreie Heilbehandlungsleistung nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG, die als sog. „actus contrarius“ ebenfalls steuerfrei sein müsse.
Die Entscheidung
Die durch die Finanzverwaltung eingelegte Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts war erfolgreich. Der Senat teilt die Ansicht, dass es sich bei der Verzichtserklärung um eine steuerbare Leistung des Chefarztes handle. Folglich sei der durch die Klinik gezahlte Ausgleich ein Umsatz im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 1 UStG, der auch nicht nach § 4 Nr. 14a UStG umsatzsteuerbefreit ist.
„Der dem Kläger aufgrund der Vereinbarung gezahlte Ausgleich ist keine Abfindung für einen beamtenrechtlichen Besitzstand, sondern Entgelt für einen steuerbaren Umsatz i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG“, so der BFH.
Weiter stellte der BFH fest, dass es sich bei dem durch den Kläger erklärten Verzicht um eine Leistung durch Unterlassen handle, da dieser hierdurch auf das ihm eingeräumte Recht zur Privatliquidation und damit auf eine ihm kraft Gesetzes zustehende vermögenswerte Rechtsposition verzichtete. Zudem habe der Kläger die Verzichtsleistung im Rahmen seines Unternehmens erbracht, so dass eine beamtenrechtliche Veranlassung, entgegen der Auffassung des Finanzgerichts, nicht gegeben war. Einen beamtenrechtlichen Bezug habe nach Ansicht des BFH lediglich der Verzicht des Chefarztes auf die Klinikleitung sowie dessen Zustimmung zur Versetzung in die universitäre Forschungseinrichtung gehabt, nicht aber die hier maßgebliche und streitgegenständliche Ausgleichzahlung für den Verzicht auf die Privatliquidation.
„Das Finanzgericht hat zudem rechtsfehlerhaft entschieden, dass die Verzichtsleistung jedenfalls wegen einer spiegelbildlichen Beurteilung der Steuerpflicht von aktiver Leistung und Verzicht gemäß § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG steuerfrei sei“, führt der BFH aus.
Nach der Auffassung des Finanzgerichts verzichtete der Kläger auf zukünftige Einkünfte aus Heilbehandlungstätigkeiten, welche nach § 4 Nr. 14a UStG steuerfrei sind. Deshalb müsse auch der entsprechende Verzicht - im Sinne einer spiegelbildlichen und einheitlichen Betrachtung – steuerfrei sein.
Der Argumentation des Finanzgerichts hat der BFH sich nicht angeschlossen. Zwar sei die Feststellung richtig, dass grundsätzlich der Verzicht auf eine steuerbefreite Handlung im Sinne einer spiegelbildlichen Beteuerung ebenfalls steuerbefreit ist. Jedoch ist dieser Grundsatz, welcher durch die sog. actus-contrarius-Rechtsprechung vom EuGH im Zusammenhang mit Mietverträgen entwickelt wurde, nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar.
Charakteristisch für die Steuerfreiheit als sog. actus-contrarius sei vielmehr, dass die jeweiligen Leistungen und der darauf bezogene Verzicht jeweils im Rahmen desselben Zweipersonenverhältnisses zwischen Leistenden und Leistungsempfänger erfolgen. Eine Übertragung auf die vorliegende Konstellation in einem Dreipersonenverhältnis mit Klinikträger, Chefarzt und Patient sei mithin ausgeschlossen. Denn im Urteilsfall erbringt der Chefarzt zwar umsatzsteuerfreie Heilbehandlungsleistungen nach § 4 Nr. 14a UStG gegenüber seinen Patienten. Der Verzicht auf das Liquidationsrecht wird jedoch gegenüber dem Klinikträger erklärt, der daraufhin auch eine Abfindung zahlt. Das Verhältnis zum Patienten, dem gegenüber die steuerfreie Heilbehandlungsleistung erbracht wird, wird hiervon allenfalls mittelbar betroffen, was jedoch für die Anwendung der actus contrarius-Rechtsprechung nicht ausreichen solle.