Nicht selten wehren sich die Krankenkassen auch dann noch gegen eine – aus ihrer Sicht – überhöhte Krankenhausrechnung, wenn sich im Laufe eines Gerichtsprozesses ergibt, dass die Kodierung des Krankenhauses zwar falsch war, sich der Vergütungsanspruch jedoch aus einem während des Gerichtsverfahrens eingeholten Gutachten ergibt. Der Argumentation liegt dabei ein Verständnis der BSG-Rechtsprechung zugrunde, dem das LSG Baden-Württemberg kürzlich entgegengetreten ist (Urteil vom 20.05.2022, Az. L 4 KR 4017/20).
Der Fall
In dem Rechtsstreit ging es um die Behandlungskosten eines Versicherten der beklagten Krankenkasse, der sich ab dem Tag seiner Geburt für mehrere Wochen im Krankenhaus der Klägerin in stationärer Behandlung befunden hatte. Das Kind litt insbesondere unter einem Atemnotsyndrom mit respiratorischer Insuffizienz, Hypertonie und unter anderem unter einem offenen Foramen ovale am Herzen. Unter dem 22.05.2013 stellte die Klägerin der Beklagten für die Behandlung des Versicherten insgesamt ca. 44.000 € in Rechnung. Die Beklagte beglich die Rechnung zunächst vollständig und leitete nachfolgend eine Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) ein. Die Prüffrage lautete: „Ist die DRG korrekt? Nebendiagnosen plausibel?“. In seinem ersten Gutachten gelangte der MDK zu der Auffassung, dass die Nebendiagnose P37.9 (angeborene infektiöse oder parasitäre Krankheit, nicht näher bezeichnet) durch die Nebendiagnose P02.7 (Schädigung des Fetus und Neugeborenen durch Chorioamnionitis) zu korrigieren sei, woraus sich eine geänderte DRG (P04C statt P04A) ergebe. Der daraufhin von der Beklagten geäußerten Bitte um Übermittlung korrigierter Datensätze widersprach die Klägerin. Die Krankenkasse zog daraufhin erneut den MDK hinzu, der hinsichtlich der Nebendiagnosen jetzt zwar zu einem neuen Ergebnis gelangte, nicht jedoch bezüglich der DRG P04C. Der erneuten Bitte der Krankenkasse, ihr innerhalb von 4 Wochen korrigierte Datensätze zu übersenden, da andernfalls der Differenzbetrag in Höhe von knapp 17.000 € verrechnet werde, kam das Krankenhaus nicht nach. Im Anschluss an die daraufhin erfolgte Verrechnung mit Forderungen des Krankenhauses aus unstreitigen Behandlungsfällen erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Ulm. Im Verlauf des Verfahrens holte das Gericht ein ärztliches Gutachten ein, demzufolge das Krankenhaus zwar nicht die Nebendiagnosen P37.9 und P00.2 hätte kodieren dürfen, allerdings die Nebendiagnosen P29.0 und P00.8, woraus sich ebenfalls die vom Krankenhaus ermittelte DRG P04A ergebe. Das SG Ulm verwies auf die Rechtsprechung des BSG und gab dem Begehren des Krankenhauses vollumfänglich statt (Urteil vom 07.10.2020, Az. S 3 KR 63/17). Die Berufung der Krankenkasse blieb ohne Erfolg.
Die Entscheidung
Das LSG Baden-Württemberg hob hervor, dass – entgegen der Ansicht der Beklagten – die Rechtsprechung des BSG ein Neukodieren im vorliegenden Fall nicht verbiete. Zwar stehe hier – anders als im Fall zum Urteil des BSG vom 23.06.2015 (Az. B 1 KR 27/16 R) - nicht lediglich die zutreffende Kodierung eines Organs in Rede. Denn hier gehe es um unterschiedliche medizinische Sachverhalte. Möglich sei der Austausch einer unzutreffenden Kodierung gegen eine zutreffende Kodierung gleichwohl. In den Entscheidungsgründen heißt es „Das BSG hielt es bei vollständiger Offenlegung des Behandlungsverlaufs nicht nur in ganz speziellen Fallkonstellationen für zulässig, dass das Krankenhaus eine unzutreffende Kodierung gegen eine zutreffende Kodierung austauscht, sondern „im Laufe eines Rechtsstreits zur Begründung seiner Forderung“, d.h. unter den genannten Voraussetzungen ohne weitere Einschränkung“. Nicht von Bedeutung sei im Übrigen, ob die zutreffende Kodierung zuvor bereits im Streit stand, aus welchen Gründen dies gegebenenfalls nicht der Fall war und welche Umstände dazu führten, sie in das Verfahren einzubeziehen. Daher sei es ohne rechtliche Relevanz, ob das Krankenhaus im Laufe des Verfahrens nach nochmaliger Überprüfung des Behandlungsfalls nachträglich auf die neue Nebendiagnose aufmerksam wird, oder ob diese – wie hier – durch ein Sachverständigengutachten zutage tritt. Dem stehe weder der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen, noch liege eine Änderung des Streitgegenstandes vor. Was den Vortrag der Krankenkasse betrifft, dass die Forderung des Krankenhauses verwirkt sei, weil sie nicht bis zum Ende des auf die Schlussrechnung folgenden Haushaltsjahres geltend gemacht worden sei, sei dieser unzutreffend. Denn in den vom BSG entschiedenen Fällen ging es um eine Nachforderung des Krankenhauses. Hier jedoch hatte die Klägerin den Teil der Vergütung, den sie jetzt hier geltend macht, bereits mit Rechnung vom 22.05.2013 eingefordert.
Fazit
Das Urteil ist für Krankenhäuser erfreulich. Denn es stellt klar, dass ihr Spielraum, noch im Rahmen eines Prozesses nachkodieren zu können, größer ist als von den Krankenkassen gerne behauptet.
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