Keine Lieferung von dezentral verbrauchtem Strom - BFH, Urteil vom 29.11.2022, AZ. XI R 18/21

Leitsatz

Die Zahlung eines sog. KWK-Zuschlags für nicht eingespeisten, sondern dezentral verbrauchten Strom gem. § 4 Abs. 3a KWKG 2009 führt nicht zu einer Lieferung i. S. von § 3 Abs. 1 UStG.

Sachverhalt

Die Finanzverwaltung ist in der Vergangenheit unter Hinweis auf Abschnitt 2.5 UStAE davon ausgegangen, dass nicht eingespeister Strom aus einer KWK-Anlage an den Netzbetreiber geliefert wurde, sofern nach § 4 Abs. 3a S. 1 KWKG 2009 ein KWK-Zuschlag vom Netzbetreiber an den Anlagenbetreiber zu entrichten war.

Hiergegen klagte eine Betreiberin von öffentlichen Stromverteilernetzen, an die von verschiedenen Betreibern geführte KWK-Anlagen zur Stromerzeugung angeschlossen waren, bei denen der erzeugte Strom nahezu ausschließlich durch die jeweiligen Betreiber selbst (dezentral) verbraucht wurde. 

Nach Auffassung des Finanzamtes war der gesamte erzeugte und selbst verbrauchte Strom zunächst in das öffentliche Stromnetz eingespeist und „fiktiv“ an die Klägerin geliefert worden. In einem zweiten Schritt werde dieser Strom dann von der Netzbetreiberin „fiktiv“ an den Anlagenbetreiber zurück geliefert (sog. fiktive Hin- und Rücklieferung). Die Hin- und Rücklieferungen seien demgemäß umsatzsteuerlich zu erfassen.

Entscheidung des BFH

Nach Auffassung des BFH führt der Direktverbrauch bei zuschlagsberechtigten KWK-Anlagen weder zu einer Lieferung an den Stromnetzbetreiber noch könne eine Stromlieferung an den Anlagenbetreiber fingiert werden.

Entgegen der Ansicht der Finanzverwaltung erlangte die Netzbetreiberin nicht die Verfügungsmacht an dem erzeugten – und selbst verbrauchten – Strom, denn es wurde kein Strom in das Netz eingespeist und wieder zurück übertragen, so dass weder Substanz, Wert noch Ertrag des Stroms auf die Netzbetreiberin übertragen wurde. Darüber hinaus konnte die Netzbetreiberin über diesen Strom auch nicht anderweitig – den Anlagenbetreiber insoweit ausschließend – verfügen.

Gesetzliche Lieferfiktionen (§ 3 Abs. 3 UStG, Art. 14 Abs. 2 Bst. c MwStSystRL) greifen nicht, insbesondere liefere der Netzbetreiber den Strom nicht für Rechnung des Anlagenbetreibers an den Anlagenbetreiber. Eine Hin- und Rücklieferung ergebe sich auch nicht aus § 4 Abs. 3a KWKG 2009, da es sich hierbei nicht um eine Regelung i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 UStG (Art. 14 Abs. 2 Bst. a MwStSystRL) handele, wonach ein Umsatz nach gesetzlicher Vorschrift als ausgeführt gilt.

Auch eine sonstige Leistung i.S. des § 3 Abs. 9 UStG sei zu verneinen, denn der Anlagenbetreiber erhalte hinsichtlich des selbst verbrauchten Stroms keinen verbrauchsfähigen Vorteil durch den Netzbetreiber. Der Zuschlag nach § 4 Abs. 3a KWKG 2009 diene vielmehr der finanziellen Förderung des Anlagenbetreibers aus energiepolitischen Gründen.

 Fazit

Die Entscheidung ist für Betreiber von KWK-Anlagen, die den erzeugten Strom (auch) dezentral verbrauchen, wichtig und ggf. begünstigend. Ob eine Rückabwicklung bisheriger Veranlagungen sinnvoll und/oder wirtschaftlich vorteilhaft ist, muss im Einzelfall unter Berücksichtigung des Anteils der steuerpflichtigen Ausgangsumsätze und des bisherigen Vorsteuerabzuges aus der Anschaffung und dem Betrieb der Anlage geprüft werden. Betroffene Veranlagungsjahre sollten hierfür ggf.  offengehalten werden.