Geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung: BSG hält an Altersvorgabe fest

Mit Urteil vom 23.06.2015 entschied das Bundessozialgericht erstmals zu den Voraussetzungen einer geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung (Az. B 1 KR 21/14 R). Darin positionierte sich der 1. Senat des Bundessozialgerichts dahin, dass für eine Kodierung der Prozedur nach OPS 8-550 (geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung) regelmäßig ein Alter von 70 Jahren, zumindest aber ein Alter von 60 Jahren in Verbindung mit plausibilisierenden Angaben erforderlich sei. Dieser Sichtweise mochte sich so manches Sozialgericht oder auch Landessozialgericht in der Vergangenheit nicht anschließen.

Jetzt hat der 1. Senat des Bundessozialgerichts mit Urteil vom 17.12.2020 entschieden, dass er an diesen Grundsätzen seines Urteils aus dem Jahr 2015 festhält. Und das, obwohl der OPS 8-550 keine solche Altersgrenze enthält - ein aus Sicht der Krankenhäuser wenig erfreuliches Ergebnis. Gleichzeitig hat sich das BSG in dieser Entscheidung mit den Voraussetzungen einer möglichen unzulässigen Rechtsausübung (Verwirkung) in puncto Erstattungsansprüchen der Krankenkassen beschäftigt und das Vorliegen dieser Voraussetzungen in dem zur Entscheidung anstehenden Fall verneint (Az. B 1 KR 21/20).

Der Fall

Die Krankenhausträgerin hatte den gesetzlich krankenversicherten Patienten (Jahrgang 1956) im Jahr 2011 für ca. vier Wochen stationär behandelt. Dafür stellte sie der Krankenkasse des Patienten einen Gesamtbetrag in Höhe von ca. 6300 € in Rechnung (Fallpauschale DRG K44Z, geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung bei endokrinen Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten). Die Rechnung wurde von der Krankenkasse zunächst voll bezahlt und auch nicht beanstandet. Erst kurz vor Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist, nämlich im Dezember 2015, bat die Krankenkasse die Krankenhausträgerin, die Abrechnung zu stornieren und korrigierte Entlassungs – und Rechnungsdaten zu übersenden, da der Versicherte zum Zeitpunkt der Behandlung noch keine 60 Jahre alt gewesen sei. Die Krankenhausträgerin lehnte eine Neuberechnung ab. Die Krankenkasse zog daraufhin vor das Sozialgericht Hamburg und machte einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch in Höhe von ca. 2200 € geltend. Das Sozialgericht Hamburg lehnte den Erstattungsanspruch wegen Verwirkung ab (Urteil vom 23.01.2018, Az. S 8 KR 2154/15). Auch die seitens der Krankenkasse gegen das Urteil des Sozialgericht Hamburg eingelegte Berufung beim LSG Hamburg blieb ohne Erfolg, da das Gericht zu der Ansicht gelangte, dass der OPS 8-550 ein Mindestalter nicht vorgebe (Urteil vom 28.05.2020, Az. L 1 KR 25/18).

Die Entscheidung

Das Bundessozialgericht schlug sich in seinem Urteil auf die Seite der Krankenkasse. Es entschied erneut, dass für die Kodierung der Prozedur OPS 8–550 regelmäßig ein Alter von 70 Jahren, zumindest aber ein Alter von 60 Jahren in Verbindung mit plausibilisierenden Angaben erforderlich sei. Da es an klaren Vorgaben im Sinne einer Definition des Begriffs „Altersbehandlung“ fehle, könnten von einer solchen Behandlung nur Personen betroffen sein, die in einem gesamtgesellschaftlichen Konsens als „alt“ angesehen werden können. Bei Personen, die das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sei davon nicht auszugehen.

Was eine mögliche Verwirkung des Rückzahlungsanspruchs der Krankenkasse betrifft, so verneinte der 1. Senat des BSG das Vorliegen der erforderlichen Voraussetzungen. Das Gericht entschied, dass weder der bloße Zeitablauf noch die vorbehaltlose Zahlung der Vergütung ein die Verwirkung begründendes Verhalten darstellten. Den Krankenkassen stehe grundsätzlich ein Anspruch auf Erstattung vorbehaltlos, aber zu Unrecht gezahlter Vergütungen innerhalb der Verjährungsfrist zu. Bei der Krankenhausträgerin habe sich auch nicht ausnahmsweise ein Vertrauen bilden können, dass die Kodierung auch bei Patienten unterhalb der Mindestgrenze von 60 Jahren zulässig sei. Denn es habe weder eine entsprechende langjährige gemeinsame Praxis von Krankenhäusern und Krankenkassen gegeben, die dies rechtfertige, noch sei eine solche Praxis durch die höchstrichterliche Rechtsprechung gebilligt worden.

Hinweis: Bei Redaktionsschluss lag lediglich der Terminbericht zum Urteil vor. Sollten sich nach Veröffentlichung der Entscheidungsgründe neue Gesichtspunkte ergeben, werden wir diese nachreichen.

Fazit

Die klare Entscheidung des Bundessozialgerichtes ist aus Sicht der Krankenhäuser zwar bedauerlich. Sie dürfte allerdings zu mehr Rechtssicherheit in der täglichen Praxis führen.

Zum Thema Verwirkung siehe auch LEGAL NEWS GESUNDHEITSWIRTSCHAFT 11/2020. Im dortigen Fall hat der 1. Senat des BSG inzwischen durch Urteil vom 20.01.2021 entschieden. Das Ergebnis wurde vom BSG bislang nicht veröffentlicht.