FG Sachsen-Anhalt entscheidet über Besteuerung von Fertigarzneimitteln

Seit dem Jahreswechsel 2019/2020 beschäftigen nach dem sog. Zytostatika-Streit erneut zahlreiche Klagen die bundesdeutschen Gerichte, mit denen Kostenträger Erstattungsansprüche hinsichtlich gezahlter Umsatzsteuer auf die ambulante Abgabe von Fertigarzneimitteln geltend machen. Die Klagen stützen sich dabei allerdings  primär auf die Besteuerung zum ermäßigten Steuersatz von derzeit 7% und nur sehr vereinzelt auf Umsatzsteuerfreiheit.

Nun liegt mit der Entscheidung des FG Sachsen-Anhalt eine erste Entscheidung bezüglich der umsatzsteuerlichen Behandlung der ambulanten Abgabe von Fertigarzneimitteln vor.

Der Fall

Das klageführende Krankenhaus vertrat bzw. vertritt die Auffassung, dass, nachdem der BFH mit Urteil vom 24.09.2014 (Az. V R 19/11) entschieden habe, dass die ambulante Abgabe von individuell hergestellten Zytostatika-Zubereitungen als ein mit der ärztlichen Heilbehandlung eng verbundener Umsatz steuerfrei sei, Fertigarzneimittel ebenfalls Teil der Krankenhausbehandlung und somit umsatzsteuerfrei seien. Jedenfalls seien die Medikamentenlieferungen durch die Krankenhausapotheke nach dem BFH-Urteil vom 31.07.2013 (Az. I R 31/12) dem Zweckbetrieb zuzurechnen, weshalb hilfsweise der ermäßigte Steuersatz gelte.

Die Entscheidung

Das Finanzgericht Sachsen-Anhalt kommt mit Zwischenurteil vom 20.10.2021 (Az. 3 K 1024/17) – in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung des Krankenhauses - zu dem Ergebnis, dass auch die Lieferung von Fertigarzneimitteln ein eng mit der Heilbehandlung verbundener Umsatz und damit steuerfrei nach § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG sei, soweit deren Verabreichung Teil der Krankenhausbehandlung ist.

Die Steuerbefreiung müsse aus Sicht des Finanzgerichts bejaht werden, weil die Verabreichung der Arzneimittel im vorliegenden Fall im Zeitpunkt der Erbringung der ärztlichen Leistung unentbehrlich sei, und daher untrennbar mit dieser verbunden sei. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Arzneimittel patientenindividuell hergestellt wurden, sondern vielmehr darauf, dass die Verabreichung auf Basis einer ärztlichen Indikation für den Behandlungserfolg notwendig gewesen sei.

An dieser Einordnung ändere auch nichts, dass die Verabreichung teilweise durch einen ermächtigten Krankenhausarzt erfolgt sei, da es für die Beurteilung des eng verbundenen Umsatzes auf die Identität des Leistungsempfängers der Behandlung und nicht des Leistenden ankomme.

Nachdem die aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Fragestellung zugelassenen Revision nicht eingelegt wurde, ist das Urteil mittlerweile rechtskräftig.

Fazit

Nachdem die Finanzverwaltung überraschenderweise keine Revision gegen das Zwischenurteil eingelegt hat, ist auch weiterhin keine höchstrichterliche Klärung in Aussicht.

Aufgrund der derzeit (weiterhin) ungeklärten Rechtslage - das FG Sachsen-Anhalt ist insoweit nur eine weitere (prominente) Rechtsmeinung in diesem Zusammenhang - könnten aktuell diesbezügliche Erstattungsansprüche der Kostenträger, auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 09.04.2019, Az. B 1 KR 5/19; Beschluss vom 10.11.2021, Az. B 1 KR 5/21 B), sehr wahrscheinlich erfolgreich abgewehrt werden.

Sollte die Finanzverwaltung allerdings (hypothetisch) künftig den Umsatzsteueranwendungserlass abändern und die einfache und risikolose rückwirkende Anwendung der Umsatzsteuerfreiheit für diese Umsätze im Sinne der BSG-Rechtsprechung eröffnen, werden die Kostenträger sehr wahrscheinlich (spätestens dann) entsprechende Erstattungsansprüche gegenüber den Krankenhausträgern geltend machen.

Insoweit ist noch anzumerken, dass seit April 2017 zur Leistungsabrechnung nach § 300 SGB V Datensätze an die gesetzlichen Kostenträger gesandt wurden, die als Rechnungen mit offenem Umsatzsteuerausweis im Sinne von § 14c UStG zu qualifizierten sein könnten. Sollte dies im Streitfall von einem Finanzgericht so beurteilt werden und keine Billigkeitsregelung gelten, könnten die Krankenhausträger (hypothetisch) in die Situation geraten, dass sie zur rückwirkenden Änderung der Steueranmeldungen für diese Umsätze die Rechnungen korrigieren und den unzutreffend ausgewiesenen Umsatzsteuerbetrag an die Kostenträger erstatten müssen, um eine Umsatzsteuererstattung vom Finanzamt zu bewirken.

In der Folge müsste der Krankenhausträger dann versuchen, sich für den rückwirkenden Wegfall des Vorsteuerabzugs bei den Kostenträgern schadlos zu halten bzw. entsprechende Ansprüche erfolgreich gegen die Kostenträger durchsetzen können. Ob und in welchem Umfang dies den Krankenhausträgern gelingen könnte, lässt sich derzeit kaum seriös prognostizieren. Hier spielen auch die jeweils abgeschlossenen Arzneimittelpreisvereinbarungen sowie die Abrechnungspraxis der Häuser eine entscheidende Rolle. Am 07.0 sorgen 2.2022 wurde das Zwischenurteil des FG Sachsen-Anhalt vom 20.10.2021 veröffentlicht. Seitdem besteht nun auch das Risiko von Schadensersatzansprüchen der Kostenträger, wenn ein Krankenhausträger nach dem Datum der Urteilsveröffentlichung eine gegenüber der umsatzsteuerfreien Behandlung der ambulanten Abgabe von Fertigarzneimitteln nachteilige Steuerfestsetzung bestandskräftig werden lässt, ohne die kostenfreien Rechtsbehelfe der Abgabenordnung (insb. Einspruchseinlegung) hiergegen auszuschöpfen.

Ob diese vertragliche Nebenpflicht auch dann (fort)besteht, wenn das erstinstanzliche Urteil – wie im vorliegenden Fall - rechtskräftig geworden ist, die Finanzverwaltung ihre bisherige Rechtsauffassung aber gleichwohl (noch) nicht allgemeinverbindlich aufgegeben hat, ist noch nicht höchstrichterlich geklärt.

 

Wolfgang Schmidbauer

Partner, Gesundheitswesen und Sozialwirtschaft, BDO
 

 

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