Der „NRW-Weg“: Bundesland schafft ab 2026 alle landesrechtlichen Wertgrenzen ab
Mit dem am 9. Juli 2025 verabschiedeten „Gesetz zur Änderung kommunalrechtlicher und weiterer Vorschriften“ hat der nordrhein-westfälische Landtag die wohl weitreichendste Neuregelung für die kommunale Vergabepraxis beschlossen. Im Zentrum der vergaberechtlichen Reform steht die Einführung des neuen § 75a GO NRW (Neu), der mit Wirkung zum 1. Januar 2026 alle landesrechtlichen Wertgrenzen für kommunale Vergabeverfahren aufhebt; die Wertgrenzen werden damit „auf Null gesetzt“.
Künftig müssen Kommunen nur noch ab Erreichen der EU-Schwellenwerte ein förmliches Vergabeverfahren nach den Vorgaben des GWB-Vergaberechts durchführen. Die Anwendung der UVgO oder VOB/A unterhalb der jeweiligen Schwellen ist nicht mehr verpflichtend. NRW-Gemeinden obliegt lediglich die Pflicht, anstehende Vergaben von öffentlichen Aufträgen wirtschaftlich, effizient und sparsam unter Beachtung der Grundsätze von Gleichbehandlung und Transparenz auszugestalten.
Parallel dazu werden die Kommunen nach § 75a Absatz 2 GO NRW (Neu) ermächtigt, vor Ort eigene und strengere Vergaberegelungen zu erlassen, was jedoch zwingend im Wege eines Satzungsbeschlusses zu erfolgen hat. Dadurch wird das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen deutlich gestärkt.
Novelle der UVgO
Auch auf Bundesebene sollen künftig erleichterte Beschaffungen ermöglicht werden. Der vom Bundeskabinett beschlossene Entwurf zu einem Gesetz zur Transformation des Vergaberechts sieht etwa vor, dass die allgemeine Wertgrenze für Direktaufträge von derzeit 1.000 Euro auf 15.000 Euro erhöht werden. Zudem sollen Sonder-Wertgrenzen für Direktaufträge an Start-ups bis sechs Jahre nach Gründung und gemeinwohlorientierte Unternehmen bis zu 100.000 Euro und auf Online-Marktplätzen bis zu 50.000 Euro eingeführt werden.
Was bleibt? Grundprinzipien weiterhin zu beachten
Selbst wenn vielerorts das enge Korsett vergaberechtlicher Verfahren deutlich gelockert wird, bedeutet dies keine absolute Freiheit bei der Vergabe von Aufträgen unterhalb der relevanten Wertgrenzen auf Landes-, Bundes- oder auf Ebene der EU. Wie beispielsweise der neue § 75a Absatz 1 GO NRW ausdrücklich klarstellt, sind die Grundprinzipien des Vergaberechts weiterhin einzuhalten. Dazu zählen insbesondere die Grundsätze
- der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit,
- der Transparenz,
- der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung sowie
- eines fairen Wettbewerbs.
Diese allgemeinen Grundsätze gelten insbesondere auch für Direktaufträge, deren Anwendung aufgrund der signifikanten Anhebung der Schwellenwerte künftig an Bedeutung gewinnen wird. Ein Direktauftrag ist ein öffentlicher Auftrag im Sinne des Vergaberechts, allerdings erfolgt die Beschaffung ohne Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens. Im Ausgangspunkt müssen daher weder Fristen festgelegt noch Vergabeunterlagen oder eine Leistungsbeschreibung erstellt werden. Auch das Verhandlungsverbot oder der Grundsatz der Produktneutralität greifen nicht. Gleichwohl bleiben die haushaltsrechtlichen Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten, was auch hier bedeutet, dass ein marktgerechter Preis (Auftrag zu wirtschaftlichen Konditionen) zu erzielen ist.
Keine Freiheit ohne Sicherheit: Wie sollten sich öffentliche Auftraggeber aufstellen?
Dies vorweggeschickt sollte künftig beachtet werden, auch bei Vergaben ohne Teilnahmewettbewerb (insbesondere Direktaufträgen) grundsätzlich mehrere Unternehmen zur Abgabe eines Angebots aufzufordern, bei der Aufforderung zur Angebotsabgabe zwischen den Unternehmen möglichst zu wechseln, keine Beschränkung in der Region oder am Ort ansässige Unternehmen vorzunehmen, den Zuschlag selbstredend auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen und die einzelnen Schritte der Vergabe, insbesondere auch das Wechselgebot, zu dokumentieren.
Unbeschadet der durch die Bundesländer festgelegten Wertgrenzen ist Kommunen anzuraten, über eigene Vergaberichtlinien für die nötige Transparenz und damit Rechtssicherheit zu sorgen, wobei im Einzelfall auch strengere Regelungen erlassen bzw. niedrigere Wertgrenzen festgelegt werden können. Insbesondere nordrhein-westfälische Kommunen kommt hierbei gemäß § 75a Absatz 2 GO NRW (Neu) eine besondere Verantwortung zu, da diese in Ausübung ihrer Selbstverwaltungshoheit allein durch eine von dem zuständigen Vertretungsorgan (Stadtrat, Kreistag) zu beschließende Satzung regelnd tätig werden können.
Die verbindliche Festlegung transparenter und nicht-diskriminierender Verfahren erfolgt auch zur Begegnung von Manipulations- und Korruptionsgefahren. Durch geeignete Vorkehrungen sind diesen entsprechend den landes- und bundesgesetzlichen Vorgaben, z.B. durch das Führen einer Vergabedokumentationsliste, entgegenzuwirken und insbesondere Ausnahmen vom Wechselgebot angemessen zu dokumentieren.
Letztlich sind bei Vergaben, deren Finanzierung mit Fördermitteln hinterlegt sind, ungeachtet der landesrechtlichen Vorgaben die in den Fördermittelbescheiden angeordneten Vergabevorschriften zwingend zu beachtet. Darüber hinaus ist bei allen Unterschwellenvergaben die Binnenmarktrelevanz der Auftragsverbe auf Grundlage einer Gesamtschau der konkreten Umstände anhand objektiver Kriterien (insbesondere Auftragswert, Ort und geographische Lage der Leistungserbringung, Besonderheiten des Auftragsgegenstand sowie des entsprechenden relevanten Marktes/Sektors) zu prüfen und angemessen zu dokumentieren. Andernfalls ist der dauerhafte Bestand des Zuwendungsbescheids gefährdet. Das mit einem Vergaberechtsverstoß einhergehende Rückforderungsrisiko sollte dabei nicht unterschätzt werden. Während in einem „klassischen Vergabeverfahren“ mit der Zuschlagsentscheidung die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens nicht mehr in einem Nachprüfungsverfahren aufgegriffen werden kann, werden die für einen Rückforderungsbescheid maßgeblichen Vergaberechtsverstöße häufig erst viele Jahre später von den Prüfbehörden festgestellt. Beleg dessen ist eine Fülle an Entscheidungen, in denen sich die Verwaltungsgerichte intensiv mit der Zulässigkeit der Anordnung zur Rückzahlung empfangener Fördermittel auseinandergesetzt haben.
Wir beraten und vertreten unsere Mandantinnen und Mandanten sowohl auf Auftraggeber- als auch Bieterseite in allen Bereichen des nationalen und europäischen Vergaberechts. Unser Beratungsspektrum erstreckt sich von der Strukturierung des Vergabeverfahrens bis hin zur gerichtlichen Vertretung vor den zuständigen Nachprüfungsinstanzen auf nationaler und europäischer Ebene. Zum Beratungsangebot gehören damit etwa auch die Strukturierung von Ausschreibungen, die Prüfung von Teilnahmeanträgen und Angeboten, die rechtliche Begleitung bei den Verhandlungen sowie - im Bedarfsfall - Risikoeinschätzungen und Handlungsalternativen.