Viel besser als ihr Ruf – Hinweisgebersysteme in der Praxis

Die neue Bundesregierung hat es auf Seite 111 des Koalitionsvertrages klar kommuniziert: Es ist mit einer zeitnahen Umsetzung der „EU-Whistleblower-Richtlinie“ in ein nationales Hinweisgeberschutzgesetz zu rechnen. Nach der verbindlichen EU-Richtlinie hätte dies eigentlich schon bis zum 17.12.2021 geschehen müssen; ein erster Gesetzesentwurf aus dem Bundesjustizministerium war aber am Widerstand der Union in der alten Koalition gescheitert. Bald wird also für Unternehmen mit mehr als 249 Mitarbeitern die Einrichtung eines internen Meldesystems gesetzlich verpflichtend. Ab Dezember 2023 wird dies sogar schon ab einer Firmengröße von 50 Mitarbeitern gelten.

Was viele dabei übersehen: Auch die öffentliche Hand wird zukünftig entsprechende „Angebote“ zur (anonymen) Meldung vermeintlicher Rechtsverstöße vorhalten müssen. Denn auch Behörden mit mehr als 50 Mitarbeitern, Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie Städte und Kommunen mit mehr als 10.000 Einwohnern sind von der Whistleblower-Richtlinie erfasst und müssen nach überwiegender Expertenmeinung wegen der Verbindlichkeit von EU-Recht bereits jetzt entsprechende Hinweisgebersysteme einrichten. Damit stehen sog. „Whistleblowern“ bald mehrere Kanäle offen, ihre Hinweise zu platzieren. Zudem werden sie durch die neue Gesetzgebung wirksam vor Repressalien geschützt.

Wirtschaftsstraftaten werden aufgedeckt

Erstaunlicherweise stehen viele Unternehmer und Manager internen Hinweisgebersystemen äußerst kritisch gegenüber, bestimmt von dem Gedanken: Wer will schon etwas mit „Denunzianten“ oder „Nestbeschmutzern“ zu tun haben?! Ein nüchterner Blick auf die Erfahrungen mit derartigen „Ombudsstellen“ zeigt jedoch die erheblichen Vorteile für Unternehmen, die etwaige Nachteile bei weitem überwiegen.

Zum einen dient das Meldesystem als „Kummerkasten“. Mitarbeiter können ihrem Ärger Luft verschaffen und über vermeintliche Missstände berichten, welche oft liegen. Viele Vorgänge erfahren allein dadurch eine Erledigung, tatsächliche Konflikte lassen sich oft durch Mediation lösen.

Zum anderen ist wissenschaftlich belegt, dass Whistleblower einen großen Anteil an der Aufdeckung von Wirtschaftsstraftaten haben, die oft jahrelang von eigenen Mitarbeitern unter Ausnutzung - nicht erkannter - Schwachstellen begangen werden. Und dies ist kein Ausnahmefall: Untersuchungen der Versicherungsbranche legen nahe, dass die Schäden, die durch sogenannte „Innentäter“ im eigenen Unternehmen versursacht werden, jährlich mehrere Milliarden Euro betragen. Oft handelt es sich bei den Tätern um langjährige Mitarbeiter in entsprechenden Vertrauenspositionen. Werden sie schließlich entlarvt, ist meistens bei ihnen nichts mehr „zu holen“.

Schlussendlich steigert das Unternehmen mit der Einführung eines Meldesystems auch seine Wettbewerbsfähigkeit: Viele Kunden werden von Ihren Lieferanten und Dienstleistern im Rahmen der sog. „Third Party Compliance“ einen entsprechenden Nachweis verlangen und dies für eine Geschäftsbeziehung voraussetzen.

Meldesysteme werden selten missbraucht

Viele Bedenken gegen Hinweisgebersysteme stehen im Zusammenhang mit der Sorge, dass diese missbraucht und durch Meldungen unbescholtene Mitarbeiter zu Unrecht belastet werden. Allerdings zeigen Praxiserfahrungen und wissenschaftliche Untersuchungen, dass dies die absolute Ausnahme ist. Zwar gibt es immer wieder Konstellationen, bei denen es Verdachtsmeldungen gibt, die sich nicht erhärten lassen. Die gezielte Denunziation eines Kollegen mit vorsätzlich falschem Tatsachenvortrag kommt indes selten vor. Gleichwohl sind klare Regeln zu empfehlen, die jedem Mitarbeiter verdeutlichen, wie mit Meldungen umgegangen wird und dass bis zum Beweis des Gegenteils die Unschuldsvermutung gilt.

Besser Herr des Verfahrens bleiben

Aufgrund der zukünftigen Möglichkeit, Hinweise auch bei öffentlichen Stellen zu platzieren, sollten Unternehmen ihre internen Meldesysteme aktiv kommunizieren und deren Existenz nicht „verschweigen“. Denn nur bei Nutzung des internen Kanals kann die Organisation autark entscheiden, wie damit umgegangen und welche Konsequenzen schließlich gezogen werden. In Einzelfällen kann es beispielsweise sinnvoll sein, keine Strafanzeige zu erstatten, um die Reputation des Unternehmens zu schützen. Ermitteln dagegen staatliche Stellen, ist auch die geschädigte Firma oder Person nur „passiver Zuschauer“ und hat nach wie vor keine eigenen strafprozessualen Rechte.

Externe Ombudsleute von Vorteil

Zu empfehlen ist, die Einrichtung des Hinweisgebersystems mit der Ernennung einer Ombudsperson zu verknüpfen, die selbst nicht Mitarbeiter des Unternehmens ist. Handelt es sich dabei um zugelassene Rechtsanwälte, ist sichergestellt, dass die Geheimhaltung der sehr sensiblen Informationen aufgrund des Standesrechts dauerhaft gewährleistet ist. Dies ist bei einer angestellten „Vertrauensperson“ ohne weiteres nicht der Fall, da diese ihr Wissen bei einem Arbeitsplatzwechsel relativ ungeschützt „mitnimmt“.

Das zukünftige Hinweisgeberschutzgesetz wird zudem vorgeben, dass Hinweise persönlich, telefonisch, elektronisch und schriftlich abgegeben werden können, und dass Inhalt und Empfang zu dokumentieren sind. Anonyme Whistleblower wird man auf neu einzurichtenden Portalen einen Code zukommen lassen müssen, damit sie sich bei Bedarf im Nachhinein identifizieren können.

Erhebliche Auswirkungen im Arbeitsrecht absehbar

Spannend wird zu beobachten sein, wie der deutsche Gesetzgeber das Hinweisgeberschutzgesetz inhaltlich ausgestalten wird. Dabei werden zwingend die Vorgaben der EU-Whistleblower-Richtlinie zu beachten sein, die als maßgebliches Ziel den verbesserten Schutz von Hinweisgebern verfolgt.

Sehr erhebliche Auswirkungen sind insbesondere im Arbeitsrecht zu erwarten: So muss künftig der Arbeitgeber beweisen, dass eine Benachteiligung des Arbeitnehmers, wie z.B. eine Kündigung, eine Versetzung oder die Versagung einer Beförderung in keinem Zusammenhang mit einem zuvor erfolgten Hinweis auf einen Rechtsverstoß steht. Es ist daher nicht auszuschließen, dass betroffene Arbeitnehmer zukünftig Meldungen mit der Motivation absetzen, ihre arbeitsrechtliche Position zu stärken. Der Arbeitgeber müsste in diesem Falle den negativen Kausalitätsnachweis erbringen, dass die arbeitsrechtliche Maßnahme in keinerlei Zusammenhang mit dem Hinweis steht. Dies wird dem Arbeitgeber letztlich nur durch einen professionellen Umgang mit dem Whistleblowing und dessen sorgfältiger Dokumentation gelingen.

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