Gaskrise: Herausforderungen und Handlungsmöglichkeiten für Industrie- und Gewerbekunden

Der Energiemarkt steckt in einer tiefen Krise. Seit Ausbruch des Ukrainekrieges sind die Gaslieferungen aus Russland eingebrochen und die Energiepreise weiter massiv angestiegen, und es stellt sich die Frage, ob unsere Energieversorgung insgesamt noch sicher ist. Die Energiekrise hat Auswirkungen auf alle Bereiche. Neben den Energieversorgungsunternehmen stehen besonders energieintensive Unternehmen vor immensen Herausforderungen.

Das Gebot der Stunde lautet: Energie einsparen. Doch die Umstellung von Produktionsprozessen oder der Wechsel von Erdgas auf andere Energieträger nehmen Zeit in Anspruch oder sind nur bedingt möglich. Die Reduzierung der Heizleistung wird den Gasverbrauch energieintensiver Unternehmen nicht merklich reduzieren.

Wie können sich also Industrie- und Gewerbekunden gegen die – energierechtlichen – Herausforderungen der Gaskrise noch wappnen?

Herausforderung: Stopps und Reduktionen von Gaslieferungen

Aktuelle Gasversorgung in Deutschland

Seit März 2022 sind starke Rückgänge bei russischen Gaslieferungen nach Deutschland zu verzeichnen. Seit dem 1.9.2022 hat Russland seine Gasexporte vollständig eingestellt. Die Versorgungslage ist daher angespannt. Aufgrund der frühzeitigen Gaseinspeicherungen – der Füllstand in Deutschland liegt bei 98,91 Prozent (Stand: 2.11.2022) – ist die Gasversorgung in Deutschland im Moment aber stabil. Eine weitere Verschlechterung der Situation kann jedoch nicht ausgeschlossen werden.1

Gasverteilung im Krisenfall

Im Fall der aktuellen Gasversorgungskrise greift der Notfallplan Gas der Bundesregierung. Durch ein dreistufiges System an Maßnahmen wird der Umgang mit Gas reglementiert und gesteuert. Deutschland befindet sich seit dem 23.6.2022 in der Alarmstufe.

Frühwarnstufe: Hinweise dafür, dass ein Ereignis eintreten kann, welches wahrscheinlich zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt (zum Beispiel Nichtvorhandensein, Ausbleiben oder Reduzierung von Gasströmen an wichtigen physischen Einspeisepunkten; langanhaltende niedrige Speicherfüllstände).

Alarmstufe: Störung der Gasversorgung oder außergewöhnlich hohe Gasnachfrage, die zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt (zum Beispiel Nichtvorhandensein, Ausbleiben oder gravierende Reduzierung von Gasströmen an wichtigen physischen Einspeisepunkten; langanhaltende sehr niedrige Speicherfüllstände; hohe Gefahr langfristiger Unterversorgung). Der Markt ist aber noch in der Lage, diese Störung oder Nachfrage zu bewältigen.

Notfallstufe: Außergewöhnlich hohe Gasnachfrage, erhebliche Störung der Gasversorgung oder andere erhebliche Verschlechterung der Versorgungslage (zum Beispiel massive langfristige Lieferausfälle zu erwarten; keine ausreichende Alternativversorgung möglich; Versorgung der geschützten Kunden sowie lebenswichtiger Bedarf gefährdet). Alle einschlägigen marktbasierten Maßnahmen genügen nicht, um die noch verbleibende Gasnachfrage zu decken, sodass zusätzlich nichtmarktbasierte (hoheitliche) Maßnahmen ergriffen werden müssen, um insbesondere die Gasversorgung der geschützten Kunden sicherzustellen.

Gasversorgung in der Frühwarn- und Alarmstufe

In den ersten beiden Stufen sollen marktbasierte Maßnahmen der Gasversorgungsunternehmen zur Anwendung gelangen.

Da in der gegenwärtigen Situation die Gasversorgung in Deutschland noch stabil und die Versorgungssicherheit derzeit gewährleistet ist, besteht grundsätzlich keine Handhabe zur Unterbrechung oder Reduzierung der Gasversorgung für Industrie- und Gewerbekunden. Das bedeutet auch, dass Gasversorger grundsätzlich an ihre Verträge gebunden sind und die Belieferung ihrer Kunden vertragsgemäß sicherzustellen haben.

Aufgrund des Anstiegs der Gashandelspreise und Mengenausfällen haben und werden Gasversorger mit dem Hinweis auf eine Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) oder Unmöglichkeit einer Gasbelieferung (§ 275 BGB) sowie auf bestimmte Klauseln ihrer Lieferverträge (Wirtschaftlichkeitsklauseln oder „Force-majeure“-Klauseln) ihre Gasbelieferung einstellen oder dies zumindest versuchen.

Gaszuteilung in der Notfallstufe

In der Notfallstufe, die von der Bundesregierung durch eine Rechtsverordnung festgestellt werden müsste, kann zusätzlich auf hoheitliche Eingriffsmöglichkeiten und damit auch auf das Instrument einer Verbrauchsbeschränkung zurückgegriffen werden. Davon wären zuerst industrielle und gewerbliche Gaskunden, die nicht unter den gesetzlich definierten Bereich der „geschützten Kunden“ fallen, betroffen.

Geschützte Kunden

Haushaltskunden sowie weitere Letztverbraucher im Erdgasverteilernetz, bei denen standardisierte Lastprofile anzuwenden sind (gem. § 24 GasNZV bei Ausspeiseleistung von max. 500 kWh/h und bis 1,5 Mio. kWh/a), oder Letztverbraucher im Erdgasverteilernetz, die Haushaltskunden zum Zweck der Wärmeversorgung beliefern, und zwar zu dem Teil, der für die Wärmelieferung benötigt wird.

Grundlegende soziale Dienste (zum Beispiel Gesundheitswesen, stationäre Pflegeeinrichtungen oder Hospize, Not- und Sicherheitseinrichtungen, Bildungseinrichtungen).

Fernwärmeanlagen, soweit sie Wärme an Kunden im Sinne der Nummern 1 und 2 liefern, an ein Erdgasverteilernetz oder ein Fernleitungsnetz angeschlossen sind und keinen Brennstoffwechsel vornehmen können, und zwar zu dem Teil, der für die Wärmelieferung benötigt wird.
 


Gasversorgungsunternehmen, die diese geschützten Kunden beliefern, werden nach § 53a EnWG verpflichtet, die Versorgung auch im Fall einer teilweisen Unterbrechung der Versorgung mit Erdgas oder im Fall außergewöhnlich hoher Gasnachfrage zu gewährleisten. Hieraus ergibt sich die Pflicht zur Vornahme entsprechender Vorsorgemaßnahmen.

Allerdings genießen die geschützten Kunden keinen absoluten Schutz. Im Fall einer Gasmangellage sollen sie auf den „Komfort“-Anteil ihres Gasbezugs (zum Beispiel zum Beheizen eines Pools) verzichten, ohne dass ihr lebenswichtiger Gasbedarf eingeschränkt wird.

Die Bundesnetzagentur oder die zuständigen Landesbehörden könnten zur Verbrauchsbeschränkung beispielsweise folgende Maßnahmen anordnen:

  • Anordnung an Großverbraucher, Gasverbrauch zu reduzieren
  • Anordnung der Abschaltung von Industriekunden
  • Anordnung der Substitution von Erdgas durch Erdöl
  • Anordnung der Substitution von Erdgas durch andere Brennstoffe
  • Anordnung der Nutzung von Strom, der nicht mit Gas erzeugt wird.

Außerhalb der vorgegebenen Sicherstellung der Gasversorgung „geschützter Kunden“ bzw. der Deckung des lebenswichtigen Bedarfs gibt es bislang keine gesetzlich festgelegte Abschaltreihenfolge.

Handlungsempfehlung für Industrie- und Gewerbekunden

Vorgehen im Hinblick auf eine Abschaltreihenfolge in der Notfallstufe

Die Bundesnetzagentur als staatlicher Lastverteiler hat bei der Festlegung ihrer konkreten Notfallmaßnahmen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. Auch die Netzbetreiber sind verpflichtet, eine dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügende Reihenfolge von Abschaltungen bzw. Leistungsreduzierungen festzulegen.

Dafür sind die letztverbraucherspezifischen Informationen von besonderer Relevanz. Bereits im Mai 2022 fand eine initiale Datenerhebung von rund 2.500 Endverbrauchern mit einer technischen Anschlusskapazität von mindestens 10 MWh/h durch die Bundesnetzagentur statt. Ende September 2022 ging die Sicherheitsplattform Gas online (sicherheitsplattform-gas.de). Danach sind unter anderem industrielle und gewerbliche Endverbraucher mit einer technischen Anschlusskapazität von mindestens 10 MWh/h verpflichtet, sich bis zum 31. Oktober 2022 zu registrieren und bestimmte Buchführungs-, Nachweis- und Meldepflichten zu erfüllen sowie die Daten aktuell zu halten.

Vor allem industrielle und gewerbliche Gaskunden, die nicht in den gesetzlich definierten Bereich der sogenannten geschützten Kunden fallen oder zu den Endverbrauchern mit einer technischen Anschlusskapazität von mindestens 10 MWh/h zählen, sollten gegenüber der Bundesnetzagentur und dem jeweiligen Anschlussnetzbetreiber proaktiv tätig werden. Auch um etwaige Schadensersatzansprüche zu sichern, sollten an Netzbetreiber und Bundesnetzagentur die Gründe schriftlich kommuniziert werden, die gegen eine vorrangige Abschaltung sprechen (wie zum Beispiel die Intensität der Folgen von Produktionsstopps für die Allgemeinheit oder drohende Schäden an Produktionsanlagen).

Vorgehen gegen Liefereinstellungen in der Frühwarn- und Alarmstufe

Liefereinstellungen durch das Gasversorgungsunternehmen ohne wirksame Kündigung stellen eine Vertragspflichtverletzung dar. Die betroffenen Kunden sollten einer solchen Einstellung unverzüglich widersprechen und zur Weiterversorgung auffordern. Sollte der Gasversorger dieser Aufforderung nicht nachkommen, besteht die Möglichkeit, diese auf dem Weg des einstweiligen Rechtsschutzes durchzusetzen. Um die Versorgung auch kurzfristig sicherzustellen, ist ein Anbieterwechsel (soweit es hierfür Angebote gibt) in Betracht zu ziehen. Die gesetzlich angeordnete Notversorgung (die sogenannte Ersatzversorgung) durch den örtlichen Grundversorger greift nur für Kunden im Niederdruck. Für die Geltendmachung von Schadensersatz (zum Beispiel wegen Mehrkosten durch Ersatzbeschaffung von Gas) liegt die Beweislast beim Kunden, daher sollte unter anderem der Zählerstand zum Belieferungsende abgelesen werden. Wenn der Versorger noch Forderungen gegen den Kunden hat, bietet sich auch eine Aufrechnung an. Eine etwaige Einzugsermächtigung oder ein Dauerauftrag bei der Bank sollten schriftlich widerrufen beziehungsweise gekündigt werden.

Herausforderung: Preiserhöhungen durch Versorgungsunternehmen

Aktuelle Preisentwicklung in Deutschland

Auch wenn sich seit Ende August durch den Füllstand der Speicher und entsprechende Signale aus der Politik, weitere Maßnahmen zu ergreifen, ein starker Rückgang der Großhandelspreise für Gas verzeichnen lässt, ist für Verbraucher unmittelbar keine Entspannung zu erwarten. Die hohen Preise in diesem Jahr werden auch im nächsten Jahr noch anfallen. Versorger haben die Preiserhöhungen bei der Durchführung ihrer eigenen Beschaffung an ihre Kunden weitergereicht.

Preisanpassungsrechte

Über Preisänderungen müssen Kunden rechtzeitig und in transparenter Art und Weise informiert werden. Diese Voraussetzungen werden nicht immer eingehalten. Für die automatische Weitergabe von Kostenänderungen bedarf es zudem einer wirksamen Preisanpassungsklausel. In der Vergangenheit waren solche Klauseln oft unwirksam.

Ein Anspruch auf Vertragsanpassung zur Erhöhung der Lieferpreise ist im Ausnahmefall wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB denkbar. Dies ist aber an strenge Anforderungen geknüpft und erfordert, dass eine Preissteigerung unvorhersehbar war und somit das Festhalten an vereinbarten Lieferpreisen für den Versorger unzumutbar ist.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass im Mai 2022 ein außerordentliches gesetzliches Preisanpassungsrecht durch § 24 Energiesicherungsgesetz entlang der gesamten Lieferkette eingeführt wurde. Dieses Preisanpassungsrecht steht allerdings unter der Bedingung, dass die Bundesnetzagentur eine erhebliche Minderung der Gasimportmengen nach Deutschland festgestellt hat und dies im Bundesanzeiger bekannt gemacht wird. Aktuell ist es sehr unwahrscheinlich, dass diese Scharfstellung des Preisanpassungsrechts erfolgt, auch vor dem Hintergrund der angekündigten Gaspreisbremse (siehe unten).

Handlungsempfehlung für Industrie- und Gewerbekunden

Vorgehen gegen Preisanpassungen

Erklärte Preisanpassungen sollten von den Kunden sorgfältig geprüft werden. Diese Überprüfung muss nicht sofort erfolgen. Kunden können Rückforderungen wegen unwirksamer Preiserhöhungen noch bis zu drei Jahre rückwirkend geltend machen, das heißt, alle Preiserhöhungen der letzten drei Jahre können von den betroffenen Kunden auf den Prüfstand gestellt und gegebenenfalls zu viel gezahlte Entgelte in Folge unwirksamer Preisanpassungen zurückgefordert werden. In jedem Fall sollten zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Preisanpassung die Zähler abgelesen werden, um den Verbrauch zu alten von dem zu neuen Preisen abzugrenzen. Außerdem sollte der Preiserhöhungsbetrag nur unter Vorbehalt bezahlt werden.

Inanspruchnahme staatlicher Zuschüsse

Ab 2023 ist für Unternehmen eine Entlastung durch die sogenannten Gas-, Wärme- und Strompreisbremsen zu erwarten. Einige Unternehmen, bei denen die Gas- und Wärmepreisbremse nicht bereits zum Januar 2023 greift, können von der sogenannten Dezember-Soforthilfe bezüglich Gas und Wärme profitieren. Dies sind im Grundsatz Unternehmen mit einem Verbrauch unter 1,5 GWh/a.2

Aber auch mit Blick auf die bereits angefallenen Kosten wegen der gestiegenen Strom- und Gaspreise im Jahr 2022 besteht für Unternehmen eine Entlastungsmöglichkeit. Mit dem Energiekostendämpfungsprogramm können energieintensive Unternehmen Zuschüsse für die gestiegenen Strom- und Gaspreise der Monate Februar bis Dezember 2022 beantragen. Erforderlich ist unter anderem, dass sich der jeweils zu zahlende Arbeitspreis in den einzelnen Monaten im Vergleich zum Durchschnitt des Jahres 2021 mindestens verdoppelt hat. Allerdings ist der Kreis der antragsberechtigten Unternehmen auf energie- und handelsintensive Wirtschaftsbranchen nach Anhang 1 der Leitlinien für staatliche Klima-, Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2022 (KUEBLL) beschränkt. Dies wurde vielfach kritisiert. Die Ankündigung des BMWK Mitte September, auch den Mittelstand einzubeziehen,3 wurde bisher nicht umgesetzt. Auch sind die Zuschüsse an den Verzicht der Geschäftsleitung auf Gehaltserhöhung und variable Vergütungsbestandteile geknüpft.

Sollte ein Industrieunternehmen die Voraussetzungen des Energiekostendämpfungsprogramms erfüllen (wollen), sollte es zumindest bis zum 31.12.2022 (Ausschlussfrist) die sogenannten Basisdaten über das Antragsprotal des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle einreichen. Werden bis dahin mindestens drei Fördermonate beantragt, also mit den erforderlichen Informationen und Unterlagen belegt, erfolgt bereits in der 1. Antragsphase für den gesamten Förderzeitraum ein Vorschuss zum Zuschuss. In der 2. und 3. Antragsphase müssen Unterlagen dann nachgereicht werden.


1 Der jeweils aktuelle Situationsbericht zur Lage der Gasversorgung in Deutschland ist hier abrufbar: https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Gasversorgung/aktuelle_gasversorgung/start.html
2 Zum Zeitpunkt der Erstellung des Beitrags war der Gesetzgebungsprozess zu den Entlastungsmaßnahmen noch nicht abgeschlossen.
3 BMWK, Pressemitteilung vom 13.09.2022: BMWK – Dritter Mittelstandsgipfel: Habeck stellt Rahmen für die Erweiterung des Energiekosten-dämpfungs­programms insbesondere für Mittelstand vor.

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