Die Energiekrise: Preisanpassungen, Lieferstopp und Versorgerinsolvenzen

Was Industrie- und Gewerbekunden sowie Netzbetreiber wissen sollten

Der massive Anstieg der Großhandelspreise für Strom und Gas hat in kürzester Zeit ernstzunehmende Folgen im Energiemarkt gezeigt. Einige Lieferanten versuchen, diese Preiserhöhungen mit teils fragwürdigen Methoden und unter Berufung auf nicht immer tragfähige Preisanpassungsklauseln an ihre Kunden weiterzureichen. Es wird auch vermehrt darüber berichtet, dass einzelne Versorger mit dem Hinweis auf fehlende langfristig gesicherte Strom- und Gasmengen und dem inzwischen extrem verteuerten Großhandelspreisen ihre Verträge kündigen. Allein im 4. Quartal wurden bisher sieben Versorgerinsolvenzen beantragt. Viele Versorger haben zudem ihr Neukundengeschäft ausgesetzt.

In diesem Marktumfeld ist gerade für energieintensive Industrie- und Gewerbekunden besondere Achtsamkeit beim Umgang mit aktuellen Preisanpassungen, Lieferstopps oder (drohenden) Versorgerinsolvenzen geboten.

Auch die Netzbetreiber stehen vor der Herausforderung, sich gegen die vermutlich noch wachsenden Insolvenzrisiken der Lieferanten abzusichern.

 

Herausforderungen für Industrie- und Gewerbekunden​

Prüfung der Preisanpassung

Über Preisänderungen müssen Kunden rechtzeitig und in transparenter Art und Weise informiert werden. Diese Voraussetzungen werden nicht immer eingehalten. Für die automatische Weitergabe von Kostenänderungen bedarf es zudem einer wirksamen Preisanpassungsklausel. In der Vergangenheit hat sich nicht selten gezeigt, dass solche Klauseln unwirksam sind. Erklärte Preisanpassungen sollten von den Kunden daher stets sorgfältig geprüft werden.

Bei Kündigung oder Lieferstopp nur kurzfristige Ersatzversorgung oder Notversorgung

Letztverbraucher, die Strom und Gas über das Energieversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung in Niederspannung oder Niederdruck beziehen, werden im Fall von Vertragskündigungen oder Versorgerinsolvenzen ab dem Zeitpunkt des Wegfalls ihrer Bilanzkreiszuordnung im Wege der Ersatzversorgung durch den örtlichen Grundversorger weiterbeliefert. Diese Belieferung erfolgt allerdings zu hohen Preisen und auch nur für einen Zeitraum von drei Monaten. Ein Anspruch auf eine fortführende Grundversorgung steht zudem nur Haushaltskunden zu. Letztverbraucher mit einem Verbrauch von über 10.000 kWh/Jahr gelten nicht als Haushaltskunden.

Für Gewerbe- und Industriekunden mit einem großen Energiebedarf, die in der Regel in höheren Netzebenen, z.B. Mittelspannung angeschlossen sind, gibt es in dieser Form keine Ersatzversorgung. Ihnen wird allenfalls für einen Übergangszeitraum eine ggf. im Netzanschlussvertrag geregelte Notstrom- oder Notgasversorgung gewährt.
 

Prüfung der Vertragskündigung und Schadensersatz

Vor diesem Hintergrund und dem Umstand, dass in der aktuellen Marktlage ein neuer Versorgungsvertrag nur zu deutlich schlechteren Konditionen abgeschlossen werden kann, sollten betroffene Kunden sehr genau prüfen, ob die durch den alten Versorger erklärten Vertragskündigungen tatsächlich rechtmäßig sind. Grundsätzlich darf man die Preisentwicklung am Großhandelsmarkt als unternehmerisches Risiko des Lieferanten betrachten. Gesetzliche Kündigungsrechte, die es dem Lieferanten ermöglichen, von dieser typischen vertraglichen Risikotragung abzuweichen, sind an strenge Voraussetzungen geknüpft. Pauschale Hinweise auf die wirtschaftliche Unzumutbarkeit der Weiterbelieferung genügen dem häufig nicht. Im Bereich der Erdgasbelieferung sind überdies die speziellen Regelungen des § 53a EnWG über die Sicherstellung der Versorgung von Haushaltskunden und anderen geschützten Kunden zu berücksichtigen.

Stellt sich heraus, dass eine Vertragskündigung unrechtmäßig war, ist die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen (z.B. für die Mehrkosten von Deckungsgeschäften) in Betracht zu ziehen.
 

Verhalten der Kunden bei drohenden Versorgerinsolvenzen

Die aktuelle Marktlage sollte den Kunden Anlass bieten, sich mit dem Insolvenzrisiko ihrer Lieferanten auseinanderzusetzen und Möglichkeiten zur Absicherung eigener Gegenforderungen (z.B. bei individuellen Netzentgelten und Umlageprivilegierungen) zu eruieren. Im Insolvenzfall ist die Durchsetzung von Rückforderungen in der Regel nur schwer oder gar nicht möglich.
 

Überprüfung der Energiebeschaffungsstrategie

Ob es gelingen wird, den extremen Preisanstieg kurz- oder mittelfristig einzudämmen, bleibt abzuwarten. An der Volatilität der Preisentwicklungen wird dies aber vermutlich nichts ändern. Mittelfristig werden größere Abnehmer daher nicht daran vorbeikommen, sich intensiver mit einer Umstellung ihrer Einkaufsstrategien, der Diversifikation ihrer Bezugsquellen, dem Abschluss preisstabiler PPA`s oder der Umsetzung von Eigenversorgungskonzepten auseinanderzusetzen.
 

Herausforderungen für Netzbetreiber

Im gegenwärtigen Marktumfeld wird die Absicherung vor insolvenzbedingten Zahlungsausfällen der Lieferanten (Netznutzer) auch für die Netzbetreiber eine zunehmend wichtige Rolle spielen.

Vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist eine fristlose Kündigung der Lieferantenrahmen- oder Netznutzungsverträge wegen der grundsätzlichen Pflicht zur Netzzugangsgewährung (§ 20 EnWG) nur schwer durchsetzbar. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens drohen Insolvenzanfechtungsklagen, bei denen aber dem Umstand des netzbetreiberseitigen Kontrahierungszwanges bislang keine abweichende Bedeutung beigemessen wird.

Im Gasbereich lieferte der gemeinsame Leitfaden von BDEW/VKU/GEODE („Sicherheitsleistungen und Vorauszahlungen im deutschen Gasmarkt“, zuletzt vom 31. 03. 2020 zur Kooperationsvereinbarung (KoV) XI) wichtige Hinweise, wie Zahlungsausfallrisiken entgegengewirkt werden kann. Mit Einführung der KoV XII ist der Leitfaden entfallen. Ebenso wie in den Verträgen der KoV 12 ist im Musternetznutzungsvertrag der BNetzA für Strom die Möglichkeit der Forderung von monatlichen Vorauszahlungen „in begründeten Fällen“ vorgesehen. Es wird im Einzelfall zu klären sein, ob sich die abverlangten Vorauszahlungen tatsächlich als insolvenzfest erweisen. Jedenfalls haben die Netzbetreiber die ihnen regulatorisch zugestandene Absicherung diskriminierungsfrei zu fordern. Die damit verbundenen Belastungen der Netznutzer müssen sachlich gerechtfertigt sein und dürfen keine unverhältnismäßigen Marktzutrittshemmnisse darstellen. Für den Fall, dass die vertraglichen Voraussetzungen zur Sicherheitsleistung oder Vorauszahlung vorliegen und diese unterbleibt, ist vorgesehen, dass der betreffende Netznutzungsvertrag gekündigt und insoweit der Netzzugang des Lieferanten verweigert werden darf.

Kosten für insolvenzbedingte Forderungs- bzw. Erlösausfälle (z.B. wegen Rückforderung vereinnahmter Netzentgelte i.R.d. Insolvenzanfechtung) werden nicht über das Regulierungskonto ausgeglichen. Ob und inwieweit die Kosten für eine Forderungsausfallversicherung regulierungsbehördliche Anerkennung finden, ist bislang nicht abschließend geklärt.
 

Bei Ihren Fragen im Umgang mit Preisanpassungen, Lieferstopps, Versorgerinsolvenzen und bei der Umsetzung ihrer Energiebeschaffungsstrategien unterstützen wir Sie gern.