FAQ zum EuGH-Urteil zur Kundenanlage

Zum Urteil des EuGH (Az. C-293/23, abrufbar unter: CURIA - Dokumente) wollen wir in diesem Insight auf einige Fragen eingehen, die uns auch von Mandantinnen und Mandanten besonders oft gestellt worden sind.

Das Urteil des EuGH zu den Regelungen zu Kundenanlagen im deutschen Energiewirtschaftsgesetz (im Folgenden: EnWG) hat Ende November 2024 für großes Aufsehen in der Energiebranche gesorgt. Nach Auffassung des EuGH ist eine Regelung, die allgemeine Kundenanlagen nach § 3 Nr. 24a EnWG von den Anforderungen an Verteilernetze befreit, nicht mit dem Unionsrecht, hier der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (RL (EU) 2019/944) (im Folgenden: „El-RL“), vereinbar. In unserem Insight haben wir über das Urteil bereits berichtet.

 

Die Entscheidung kann erhebliche Auswirkungen auf eine Vielzahl an Leitungsinfrastrukturen zur Strom- und Gasversorgung (z.B. dezentrale Versorgungskonzepte von Industrie- und Gewerbekunden und sog. Quartierskonzepte zur Versorgung von Wohnungsmietern oder -eigentümern, aber auch auf Verteileranlagen in Einkaufszentren, Universitäten, Krankenhäusern) haben. Im Einzelnen können die Folgen facettenreich und komplex sein. 

Die Antworten im Rahmen dieser FAQ spiegeln unsere aktuelle vorläufige Einschätzung wider, sind unverbindlich und ersetzen keine Prüfung im Einzelfall. Wir werden gegebenenfalls die Antworten im Zuge unserer laufenden vertieften Prüfungen und nach Kenntnis neuer Informationen (z.B. zur Handhabung durch die BNetzA, den deutschen Gesetzgeber) noch anpassen und FAQ ergänzen.

 

Das EuGH-Urteil erging im Rahmen eines vom BGH (Az. EnVR 83/20) eingeleiteten Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV. Der BGH stellte (verkürzt) die Frage, ob Bestimmungen der El-RL einer Bestimmung wie § 3 Nr. 24a EnWG entgegenstehen, wonach den Betreiber einer Energieanlage zur Abgabe von Energie keine Pflichten eines Verteilernetzbetreibers treffen, wenn er mittels in einem BHKW erzeugten Stroms mehrere Wohnblöcke mit bis zu 200 vermieteten Wohneinheiten und mit einer jährlichen Menge an durchgeleiteter Energie von bis zu 1.000 MWh versorgt und den erzeugten Strom an die Mieter verkauft.  

Das Vorabentscheidungsverfahren dient nationalen Gerichten wie dem BGH dazu, dem EuGH Fragen bezüglich der Auslegung und Vereinbarkeit von nationalstaatlichen Regelungen mit Europarecht vorzulegen, die entscheidungserheblich sind. 

An das dem Urteil des EuGH zugrundeliegende Auslegungsergebnis sind die nationalen Gerichte gebunden. Hingegen ist von den nationalen Gerichten zu entscheiden, welche konkreten Auswirkungen sich aus dem vom EuGH verbindlich ausgelegten Unionsrecht für die Anwendung und Auslegung des in den Anwendungsbereich der El-RL fallenden nationalen Rechts ergeben.

Bei Auslegungsfragen wirkt das Urteil des EuGH zunächst nur zwischen den Parteien (inter partes) des Ausgangsverfahrens und dies auch nicht unmittelbar. Der BGH muss die Entscheidung des EuGH erst noch in ein Urteil „gießen“. Es wird allgemein erwartet, dass der BGH ausgehend vom Urteil des EuGH entscheiden wird, dass im Ausgangsverfahren die Wohnanlagen als Verteilernetze eingestuft werden. 

Für andere Betreiber von Kundenanlagen gem. § 3 Nr. 24a EnWG entfaltet das Urteil des EuGH hingegen keine unmittelbare Wirkung.

Auch wenn das EuGH-Urteil nicht die Nichtigkeit von § 3 Nr. 24a EnWG zur Folge hat, wird dem EuGH-Urteil vor allem auf Grund seiner Begründung jedoch die allgemeingültige Aussage entnommen, dass der deutsche Tatbestand der Kundenanlage gem. § 3 Nr. 24a EnWG nicht mit der El-RL vereinbar ist. Deutsche Gerichte, die mit ähnlichen Streitfragen im Zusammenhang mit der allgemeinen Kundenanlage befasst sind, müssen sich an der Entscheidung des EuGH orientieren und § 3 Nr. 24a EnWG richtlinienkonform anwenden. Es ist deswegen zu erwarten, dass sie für eine Unionsrechtswidrigkeit plädieren und in Konstellationen wie im vom BGH zu entscheidenden Ausgangsfall im Ergebnis ein Verteilernetz annehmen werden. 

Dies ist nicht nur von den deutschen Gerichten zu erwarten, sondern noch vorgelagert von den Regulierungsbehörden, die über solche Fragen, ob Verteilernetz ja oder nein, entscheiden müssen. Eine – erste – kurze Stellungnahme der BNetzA finden Sie hier

Wirtschaftlich besonders relevant ist, dass es auch für bestimmte Förderungen teilweise darauf ankommt, dass eine Lieferung von Strom ohne Nutzung des Netzes erfolgt (z.B. Mieterstromzuschlag). Die dezentrale Stromlieferung unter Nutzung einer allgemeinen Kundenanlage hat auch den Wegfall von Kostenpositionen (u.a. Netzentgelte und Umlagen) zur Folge. Somit kann die Entscheidung des EuGH im Einzelfall erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit der dezentralen Versorgungskonzepte haben. 

Am Ende muss aber vor allem der Gesetzgeber tätig werden. Der EuGH konnte zwar die nationale Regelung in § 3 Nr. 24a EnWG nicht für nichtig erklären. Nach dem EuGH-Urteil ist die (zulässige) Abgrenzung zwischen regulierten (Verteiler-)Netzen und nicht regulierten Energieinfrastrukturen aber unklar. Eine unionrechtswidrige Regelung ist vom deutschen Gesetzgeber zu streichen oder abzuändern. Mit einem schnellen Tätigwerden des Gesetzgebers ist allerdings schon wegen der anstehenden Neuwahlen und den Erfahrungen in vergleichbaren Fällen nicht zu rechnen. Bis eine gesetzliche Neuregelung getroffen wird, bleiben die genauen Maßstäbe offen. Daraus ergeben sich für den jeweiligen Einzelfall aber ggf. auch Spielräume, die es zu prüfen gilt.

Ist ein reguliertes Verteilernetz zu bejahen, scheidet eine freie vertragliche Ausgestaltung des Betriebs der Energieverteilung mit den Nutzern aus. Vielmehr müssen die für Verteilernetzte geltenden Regulierungsvorgaben, insbesondere der §§ 11 ff. EnWG, eingehalten werden. 

Dabei handelt es sich u.a. um folgende Pflichten:

  • Netzanschluss samt Vorhaltung entsprechender Netzanschlussverträge 
  • Veröffentlichung von technischen Anschlussbedingungen 
  • Gewährleistung des Netzzugangs samt Vorhaltung entsprechender Netznutzungsverträge 
  • Kalkulation und Einholung der Genehmigung sowie Veröffentlichung der Netzentgelte
  • Verantwortung des grundzuständigen Messstellenbetriebs
  • Beachtung der Festlegungen zur Marktkommunikation (Zuweisung von Marktlokations-Identifikationsnummern)
  • Einrichtung von bilanzierbaren Zählpunkten 
  • Entflechtung von Netzbetrieb und Versorgung, also zumindest buchhalterisch und informationell
  • Ausgleich bei Versorgungsstörungen
  • Erfüllung von Meldepflichten

Vereinfacht gesagt, kann der Betreiber eines Verteilernetztes als Gegenleistung für die Erfüllung der umfassenden Regulierungsvorgaben Netzentgelte verlangen. Aber ein Vorteil ist dies nicht für einen Kundenanlagenbetreiber. Zum einen führt dies zu einem erheblichen bürokratischen Aufwand. Zum anderen rentieren sich viele dezentrale Versorgungskonzepte gerade wegen der gesparten Netzentgelte (und auch Umlagen).

Welche Verteilernetz-Pflichten im Einzelfall für den Betreiber einer Kundenanlage in Zukunft greifen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

Grundsätzlich ist hier zwischen bestehenden Kundenanlagen, Änderungen an bestehenden Kundenanlagen und neuen Kundenanlagen zu unterscheiden.

a)    Bestehende Kundenanlagen

Betreiber bestehender Kundenanlagen, die nun Verteilernetz sein könnten, müssen unmittelbar noch keine Netzbetreiberpflichten erfüllen. Sie können und sollten erstmal abwarten, bis der Gesetzgeber oder die Regulierungsbehörden aktiv werden. Denn die Regelungen zur Kundenanlage in § 3 Nr. 24 a/b EnWG sind noch geltendes Recht. Bei einer Neuregelung durch den Gesetzgeber ist jedoch nicht zu erwarten, dass für bestehende Kundenanlagen Bestandsschutz gewährt wird.

Wir empfehlen aber, dass die Kundenanlagenbetreiber bereits jetzt prüfen (lassen), ob sie ein Verteilernetz betreiben nach den Maßgaben des EuGH/der El-RL, welche Pflichten für sie greifen (Lastenheft erstellen), welche Gestaltungsoptionen bestehen und welche Maßnahmen eventuell schon jetzt sinnvoll umgesetzt werden können, auch im Hinblick auf Verträge mit den Kunden in der Kundenanlage.

Im Hinblick auf Compliance und Jahresabschlussprüfung hören wir immer wieder die Frage, welche Auswirkungen das EuGH-Urteil auf den Jahresabschluss haben kann, zumindest in den Fällen, in denen im Unternehmen(sverbund) Netzbetrieb und Stromvertrieb in der Kundenanlage ausgeübt werden. Hier empfehlen wir, sich mit Ihrem Wirtschaftsprüfer abzustimmen.

b)    Änderungen an bestehenden Kundenanlagen

Vorsicht ist geboten, wenn in bestehenden Kundenanlagen eine Änderung vorgenommen werden soll, weil z.B. ein neuer Verbraucher hinzukommen soll. 

Wird hier ein neuer bilanzierungsrelevanter Unterzähler benötigt und dieser entsprechend § 20 Abs. 1d EnWG beim (vorgelagerten) Netzbetreiber beantragt, ist nicht auszuschließen, dass dies unter Berufung auf das EuGH-Urteil abgelehnt wird. 

Für neue Dritte in der Kundenanlage sollten in jedem Fall die Verträge entsprechend der Verteilernetzthematik ausgestaltet sein.

c)    Neue Kundenanlagen

Die größten Herausforderungen bestehen aktuell bei in Planung bestehenden Kundenanlagen. 

Dies beginnt bei der Frage, ob ein Anschluss der „Kundenanlage“ an das Netz des (vorgelagerten) Netzbetreibers als Kundenanlage möglich ist. Auch die Frage, ob und in welchem Umfang die geplante Leitungsinfrastruktur zukünftig der Netzregulierung unterfällt, ist von großer wirtschaftlicher Relevanz. 

Ein Abwarten auf das Tätigwerden des Gesetzgebers scheint – zeitlich – nicht für alle Projekte möglich. Daher sollten von Anfang an (auch) europarechtlich zulässige Alternativen, wie das geschlossene Verteilernetz in Betracht gezogen werden. 

In jedem Fall ist bei der Gestaltung der Liefer- und Nutzungsverträge die Verteilernetzthematik zu beachten.

Aktuell muss man davon ausgehen, dass nach dem EuGH elektrische Verteilanlagen dann als Verteilernetze einzustufen sind, wenn (1) mindestens ein Niederspannungsnetz vorliegt und (2) die weitergeleitete Energie für Kunden bestimmt ist, d.h. ein Verkauf an Dritte erfolgt. Unerheblich ist danach u.a., ob nur eine begrenzte Zahl von Erzeugungs- und Verbrauchseinheiten an dieses Netz angeschlossen ist, welche Größe dieses Netz hat und welcher Stromverbrauch innerhalb dieses Netzes erfolgt (Rn. 54 des EuGH-Urteils). Mithin ist der Umfang, in dem eine – entgeltliche – Belieferung von Dritten erfolgt, nicht relevant für die Einstufung als Verteilernetz. 

An einem Verkauf von Strom an Dritte fehlt es allerdings in Eigenversorgungskonstellationen. Ein Verteilernetz ist demnach nicht gegeben, wenn der Betreiber einer Erzeugungsanlage die elektrischen Verteilanlagen nur dazu nutzt, den erzeugten Strom zu seinen Verbrauchsstellen zu liefern. 

An einem Verkauf von Strom fehlt es ebenfalls, wenn Strom unentgeltlich an Dritte weitergeleitet wird. Praktisch dürfte dies – bisher – vor allem Fälle betreffen, wo die Dritten jeweils nur geringe Strommengen verbrauchen (z.B. zeitweise vor Ort tätige Drittfirmen, wie Handwerker oder Reinigungsfirmen). Sofern die Dritten größere Strommengen verbrauchen und diesen bisher auch vergütet haben, sollten Kundenanlagenbetreiber nun die Vorteile der Vergütung mit den möglichen Nachteilen (regulatorischen Anforderungen) der Einstufung als Verteilernetz abwägen.

Dem Urteil des EuGH liegt ein Fall zugrunde, in dem zwei Wohngebiete mit Strom aus vor Ort betriebenen BHKWs versorgt werden sollten. 

Wie zuvor ausgeführt, stuft der EuGH elektrische Verteilanlagen dann als Verteilernetze nach der El-RL ein, wenn (1) mindestens ein Niederspannungsnetz vorliegt und (2) die weitergeleitete Energie für Kunden bestimmt ist, d.h. ein Verkauf an Dritte erfolgt. Es kommt also nur auf die Verteilung und nicht die Erzeugung von Elektrizität an. 

In Rn. 54 des EuGH-Urteils heißt es, dass u.a. der Umstand, dass an diese elektrischen Verteilanlagen „eine begrenzte Zahl von Erzeugungs- und Verbrauchseinheiten angeschlossen ist“, kein maßgebliches Kriterium ist, solche Verteilernetze vom Anwendungsbereich dieser El-RL auszunehmen. Unserer Auffassung nach kann daraus jedoch nicht zwingend geschlossen werden, dass der fehlende Anschluss einer Erzeugungsanlage ein maßgebliches Kriterium wäre. 

Insofern können auch reine Weiterverteilungen extern bezogenen Stroms betroffen sein. Welche Verteilernetz-Pflichten jedoch für den Betreiber einer Weiterverteiler-Kundenanlage greifen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

Dem Urteil des EuGH liegt ein Fall zugrunde, der sich auf die (allgemeine) Kundenanlage i.S.v. § 3 Nr. 24a EnWG bezieht, da es um die Versorgung zweier Wohngebiete mit Strom aus BHKWs ging. Gleichwohl kann das Urteil auch eine Relevanz für die Kundenanlage zur betrieblichen Eigenversorgung, die in § 3 Nr. 24b EnWG geregelt ist, haben.

Typische Fälle einer Kundenanlagen zur betrieblichen Eigenversorgung sind z.B.:

  • Produzierende Unternehmen, die auf ihrem Betriebsgelände BHKW oder PV-Anlagen betreiben (lassen) und den erzeugten Strom auch an verbundene Unternehmen (z.B. die Verwaltungsgesellschaft) oder Dritte (z.B. auf dem Gelände ansässige Drittfirmen) weiterleiten. 
  • Krankenhäuser mit BHKW oder PV-Anlagen, die den erzeugten Strom auch an Dritte (z.B. Betreiber von Cafés) weiterleiten. 

Ein Betrieb einer Erzeugungsanlage in der Kundenanlage ist jedoch nicht erforderlich, da die Verbindung mit einem – vorgelagerten – Energieversorgungsnetz ausreicht. 

Bei der Kundenanlage zur betrieblichen Eigenversorgung nach § 3 Nr. 24b EnWG wird gegenüber der Kundenanlage nach § 3 Nr. 24a EnWG die Voraussetzung, dass die Energieanlagen zur Abgabe von Energie für die Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs bei der Versorgung unbedeutend sind, ersetzt bzw. konkretisiert. So dürfen nach § 3 Nr. 24b EnWG die Energieanlagen fast ausschließlich dem betriebsnotwendigen Transport von Energie innerhalb des eigenen Unternehmens oder zu verbundenen Unternehmen oder fast ausschließlich dem der Bestimmung des Betriebs geschuldeten Abtransport in ein Energieversorgungsnetz dienen. Eine Kundenanlage zur betrieblichen Eigenversorgung liegt also auch dann vor, wenn Dritte wie verbundene Unternehmen oder zu einem geringen Anteil auch sonstige Dritte mit Energie beliefert werden.

Wird in der Kundenanlage zur betrieblichen Eigenversorgung Strom an Dritte weitergeleitet und zahlen diese dafür, liegt es nach dem Verständnis des EuGH nahe, dass er im Streitfall auch hier von einem Verteilernetz ausgehen würde.


Dem Urteil des EuGH liegt ein Fall zugrunde, der sich nur mit elektrischen Verteilanlagen befasst und damit der Vereinbarkeit mit der El-RL (RL (EU) 2019/944). Die Regelungen zur Kundenanlage im EnWG beziehen sich jedoch nicht nur auf Energieanlagen zur Abgabe von Strom, sondern auch von Gas. Insofern stellt sich die Frage, der Vereinbarkeit der Regelungen zu Kundenanlagen im EnWG mit den Vorgaben des Unionsrechts.

Vergleicht man die El-RL mit der Gasbinnenmarktrichtlinie (RL (EU) 2024/1788) fällt zunächst auf, dass sich ein Gas-Verteilernetzbetreiber wie der Elektrizitäts-Verteilernetzbetreiber ebenfalls dadurch kennzeichnet, dass er die Energie zu Kunden transportiert (Artikel 2 Nr. 19, 20 Gasbinnenmarktrichtlinie). Der Verkauf ist also wieder ausschlaggebend (Artikel 2 Nr. 47 Gasbinnenmarktrichtlinie). Sonst muss es sich nur um örtliche oder regionale Leitungsnetze handeln, es erfolgt also keine Begrenzung auf bestimmte Druckebenen.

Gas-Verteilernetzbetreiber obliegen nach der Richtlinie wie Elektrizitäts-Verteilernetzbetreiber einer Vielzahl an Verpflichtungen. Ausnahmen sind möglich, wenn noch eingeschränkter als bei der El-RL. So gibt es beispielsweise die Erleichterungen für geschlossene Verteilernetze in Art. 48 Gasbinnenmarktrichtlinie. Die in Art. 16 El-RL geregelten Bürgerenergiegemeinschaften kennt die Gasbinnenmarktrichtlinie jedoch nicht.

Somit lässt sich sagen, dass die Wertungen des EuGH im Urteil zur Elektrizitäts-Kundenanlage auf die Gas-Kundenanlage zu übertragen sind.

Dezentrale Erzeugungskonzepte, d.h.  Verteilanlagen mit Erzeugungsanlagen, spielen allerdings im Gasbereich keine so große Bedeutung wie im Strombereich, wodurch die Auswirkungen des EuGH-Urteils weniger Gas-Kundenanlagen mit Erzeugungsanlagen als Gas-Kundenanlagen ohne Erzeugungsanlagen, d.h. der reinen Weiterverteilung extern bezogenen Gases, betrifft.

Der EuGH weist darauf hin, dass nur solche Ausnahmen von den Netzregulierungspflichten europarechtskonform sind, die der El-RL ausdrücklich zu entnehmen sind. Hierfür müssten diese aber vom deutschen Gesetzgeber in nationales Recht umgesetzt worden sein. Dies ist bisher nur teilweise in Deutschland geschehen, was sich zukünftig in Reaktion auf das EuGH-Urteil ändern mag. 

Die El-RL ermöglicht im Wesentlichen folgende Ausnahmemöglichkeiten:

a)    Geschlossenes Verteilernetz 

Insbesondere für Kundenanlagen zur betrieblichen Eigenversorgung kann das geschlossene Verteilernetz eine mögliche Alternative darstellen. Für Leitungsinfrastrukturen, die der Versorgung von Mietern oder Eigentümern dienen, stellt es aufgrund der Voraussetzungen keine wirkliche Alternative dar.

Nach Art. 38 El-RL können Betreiber geschlossener Verteilernetze von bestimmten Verpflichtungen (z.B. der Genehmigung der Netzentgelte, Sicherung der Systemstabilität) ausgenommen werden. Dies hat der deutsche Gesetzgeber mit § 110 EnWG umgesetzt. 

Um als geschlossenes Verteilernetz eingestuft zu werden, muss zunächst ein entsprechender Antrag gestellt werden. Daraus folgt auch, dass Verteilernetze bis zur Einstufung nach Antragstellung nicht als geschlossene Verteilernetze, sondern als vollregulierte Netze anzusehen sind. Es müssen folgende Anforderungen nach § 110 EnWG erfüllt sein:

  • Es muss sich um ein Energieversorgungsnetz handeln, mit dem Energie zum Zwecke der Ermöglichung der Versorgung von Kunden verteilt wird.
  • Zudem müssen gebietsbezogene Voraussetzungen erfüllt sein: Die Energie muss in einem geografisch begrenzten Industrie- oder Gewerbegebiet verteilt werden. Möglich ist auch die Verteilung von Energie in einem Gebiet, in dem Leistungen gemeinsam genutzt werden. 
  • Des Weiteren müssen letztverbraucherbezogene Voraussetzungen erfüllt sein: Die Tätigkeiten oder Produktionsverfahren der Anschlussnutzer des Netzes müssen aus konkreten technischen oder sicherheitstechnischen Gründen verknüpft sein. Alternativ kann mit dem Netz auch in erster Linie Energie an den Netzeigentümer oder -betreiber oder an mit diesen verbundene Unternehmen verteilt werden.

Diese Anforderungen dürften viele Kundenanlagen erfüllen. Eine Einstufung als geschlossenes Verteilernetz ist aber nur möglich, wenn (1) entweder keine Letztverbraucher, die Energie für den Eigenverbrauch im Haushalt kaufen, über dieses Verteilernetz versorgt werden oder (2) diese Haushaltskunden nur eine geringe Zahl ausmachen und ein Beschäftigungsverhältnis oder eine vergleichbare Beziehung zum Eigentümer oder Betreiber des Netzes unterhalten. Diese Einschränkung der Letztverbraucher schließt besonders für Verteilanlagen im Wohnbereich die Möglichkeit der Einstufung als geschlossenes Verteilernetz aus.

b)    Direktleitungen

Im Fall von bestimmten dezentralen Versorgungslösungen, bspw. eine Stromleitung zwischen einer Windenergieanlage und dem Produktionsstandort eines Unternehmens, kommt eine Leitungsinfrastruktur außerhalb des Verteilernetzes in Betracht. 

Nach Art. 2 Nr. 41 El-RL gibt es zwei Möglichkeiten, als eine „Direktleitung“ eingestuft zu werden:

  • eine Leitung, die einen einzelnen Produktionsstandort mit einem einzelnen Kunden verbindet, oder 
  • eine Leitung, die einen Erzeuger und einen Versorger zur direkten Versorgung mit ihrer eigenen Betriebsstätte, ihren Tochterunternehmen und ihren Kunden verbindet.

Nach Art. 7 El-RL treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit alle Erzeuger und Elektrizitätsversorgungsunternehmen, die in ihrem Hoheitsgebiet ansässig sind, ihre eigenen Betriebsstätten, Tochterunternehmen und Kunden über eine Direktleitung versorgen können, ohne dass ihnen unverhältnismäßige Verwaltungsverfahren oder Kosten auferlegt werden. Eine ausdrückliche Ausnahme von Direktleitungen im Hinblick auf die Verpflichtungen für Betreiber von Verteilernetzen erfolgt damit nicht. Da jedoch die Begriffsbestimmung zur Direktleitung in Art. 2 El-RL im Gegensatz zu anderen Netzdefinitionen keinen Bezug zum Netz herstellt, kann angenommen werden, dass eine Direktleitung (allein) nicht zur Annahme eines Netzes/Verteilernetzes führt. 

Der deutsche Gesetzgeber beschränkt sich im EnWG in § 3 Nr. 12 auch nur auf die Definition der Direktleitung. Die deutsche Rechtsprechung und -wissenschaft wie auch die BNetzA bewerten jedenfalls (bisher) den Betreiber einer Direktleitung nicht als Netzbetreiber. 

Teilweise wird vertreten, dass eine Direktleitung auch dann vorliegt, wenn eine Stromerzeugungsanlage nicht nur einen Kunden, sondern auch mehrere – in der Anzahl beschränkte – Kunden versorgt. Hier ist sehr fraglich, ob dies mit der El-RL vereinbar ist.

c)    Bürgerenergiegemeinschaften

Wenngleich viele Kundenanlagen die Voraussetzungen einer Bürgerenergiegemeinschaft nach Art. 16 El-RL erfüllen könnten, stellt diese – noch – keine rechts- und planungssichere Gestaltungsoption dar. 

Art. 16 El-RL ermöglicht gewisse Ausnahmen von Netzregulierungspflichten für Bürgerenergiegemeinschaften. Als Bürgerenergiegemeinschaft ist eine Rechtsperson zu verstehen, 

  • die auf freiwilliger und offener Mitgliedschaft beruht und von Mitgliedern oder Anteilseignern, bei denen es sich um natürliche Personen, Gebietskörperschaften, einschließlich Gemeinden oder Kleinunternehmen handelt, tatsächlich kontrolliert wird;
  • deren Hauptzweck nicht in der Erwirtschaftung finanzieller Gewinne besteht, sondern darin, ihren Mitgliedern oder Anteilseignern oder den lokalen Gebieten, in denen sie tätig ist, Umwelt-, Wirtschafts- oder soziale Gemeinschaftsvorteile zu bieten; und
  • die in den Bereichen Erzeugung, einschließlich aus erneuerbaren Quellen, Verteilung, Versorgung, Verbrauch, Aggregierung, Energiespeicherung, Energieeffizienzdienstleistungen oder Ladedienstleistungen für Elektrofahrzeuge tätig sein oder andere Energiedienstleistungen für seine Mitglieder oder Anteilseigner erbringen kann. 

Die von der El-RL vorgesehene Ausnahme mit Blick auf die Verteilerpflichten ist allerdings noch nicht ins deutsche Recht umgesetzt und kann daher – bis zu einer möglicherweise künftigen Umsetzung – nicht beansprucht werden. Zwar gibt es die Rechtsfigur der Bürgerenergiegesellschaften nach § 3 Nr. 15 EEG. Diese ermöglicht aber nur eine Ausnahme in Bezug auf die EEG-Ausschreibungspflicht (§ 22b EEG). 

d)    Kleine Verbundnetze und kleine, isolierte Netze

Die Rechtsfiguren des kleinen Verbundnetzes und des kleinen, isolierten Netzes bieten aktuell keine brauchbare Gestaltungsoptionen für Kundenanlagenbetreiber. 

Art. 66 Abs. 1 El-RL sieht zwar bestimmte Ausnahmemöglichkeiten für kleine Verbundnetze und kleine, isolierte Netze vor. Das kleine Verbundnetz ist ein Netz mit einem Verbrauch von weniger als 3.000 GWh im Stichjahr 1996, bei dem mehr als 5 % des Jahresverbrauchs durch einen Verbund mit anderen Netzen bezogen werden. Für kleine, isolierte Netze gelten dieselben Kriterien, sie beziehen aber weniger als 5 % des Jahresverbrauchs durch einen Verbund mit anderen Netzen.  

Voraussetzung hierfür ist aber, dass die Ausnahme von dem Mitgliedstaat bei der Kommission beantragt wird. Die Kommission kann die gewährten Ausnahmen sodann grundsätzlich nur zeitlich befristet erteilen (Art. 66 Abs. 2 El-RL). Entsprechende Anträge sind bis dato noch nicht von deutscher Seite gestellt worden und mithin finden sich im EnWG keine Regelungen dazu. 

e)    Gebietsausnahmen

Für Kundenanlagenbetreiber bieten die Gebietsausnahmen in Art. 66 Abs. 3 – 5 El-RL keine Alternative. Diese bestehen nämlich nur für Zypern, Luxemburg, Malta und Korsika und damit nicht für Deutschland bzw. deutsche Gebiete.

f)    Einzelne Ausnahmen

Nicht jeder Kundenanlagenbetreiber hat alle für Verteilernetzbetreiber bestehende Pflichten zu erfüllen. So sind in vielen Vorschriften der El-RL direkt Ausnahmen für bestimmte Einzelfälle ermöglicht. Hier können die Mitgliedstaaten beschließen, diese Vorschriften nicht auf bestimmte Unternehmen oder Umstände anzuwenden. 

Beispielsweise findet sich eine solche Ausnahmemöglichkeit für die Pflicht zur rechtlichen Entflechtung in Art. 35 Abs. 4 El-RL für integrierte Elektrizitätsunternehmen, die weniger als 100.000 angeschlossene Kunden oder kleine, isolierte Netze beliefern. Diese Ausnahme wurde in § 7 Abs. 2 EnWG umgesetzt.

Unser Beratungsangebot

Wir stehen Ihnen gerne zu einem Austausch und bei Ihren Fragen zu den Auswirkungen des EuGH-Urteils zur Verfügung. Wir unterstützen Sie bei der Prüfung und ggf. Neubewertung Ihrer bestehenden oder geplanten Leitungsinfrastruktur zur Strom- und Gasversorgung und zeigen Ihnen Gestaltungsalternativen auf.  Auch für die im Zusammenhang mit dem EuGH-Urteil entstandenen Fragen zur vertraglichen Ausgestaltung und Anpassung von Nutzungs- und Lieferverträgen beraten wir Sie gern.