Der EuGH weist darauf hin, dass nur solche Ausnahmen von den Netzregulierungspflichten europarechtskonform sind, die der El-RL ausdrücklich zu entnehmen sind. Hierfür müssten diese aber vom deutschen Gesetzgeber in nationales Recht umgesetzt worden sein. Dies ist bisher nur teilweise in Deutschland geschehen, was sich zukünftig in Reaktion auf das EuGH-Urteil ändern mag.
Die El-RL ermöglicht im Wesentlichen folgende Ausnahmemöglichkeiten:
a) Geschlossenes Verteilernetz
Insbesondere für Kundenanlagen zur betrieblichen Eigenversorgung kann das geschlossene Verteilernetz eine mögliche Alternative darstellen. Für Leitungsinfrastrukturen, die der Versorgung von Mietern oder Eigentümern dienen, stellt es aufgrund der Voraussetzungen keine wirkliche Alternative dar.
Nach Art. 38 El-RL können Betreiber geschlossener Verteilernetze von bestimmten Verpflichtungen (z.B. der Genehmigung der Netzentgelte, Sicherung der Systemstabilität) ausgenommen werden. Dies hat der deutsche Gesetzgeber mit § 110 EnWG umgesetzt.
Um als geschlossenes Verteilernetz eingestuft zu werden, muss zunächst ein entsprechender Antrag gestellt werden. Daraus folgt auch, dass Verteilernetze bis zur Einstufung nach Antragstellung nicht als geschlossene Verteilernetze, sondern als vollregulierte Netze anzusehen sind. Es müssen folgende Anforderungen nach § 110 EnWG erfüllt sein:
- Es muss sich um ein Energieversorgungsnetz handeln, mit dem Energie zum Zwecke der Ermöglichung der Versorgung von Kunden verteilt wird.
- Zudem müssen gebietsbezogene Voraussetzungen erfüllt sein: Die Energie muss in einem geografisch begrenzten Industrie- oder Gewerbegebiet verteilt werden. Möglich ist auch die Verteilung von Energie in einem Gebiet, in dem Leistungen gemeinsam genutzt werden.
- Des Weiteren müssen letztverbraucherbezogene Voraussetzungen erfüllt sein: Die Tätigkeiten oder Produktionsverfahren der Anschlussnutzer des Netzes müssen aus konkreten technischen oder sicherheitstechnischen Gründen verknüpft sein. Alternativ kann mit dem Netz auch in erster Linie Energie an den Netzeigentümer oder -betreiber oder an mit diesen verbundene Unternehmen verteilt werden.
Diese Anforderungen dürften viele Kundenanlagen erfüllen. Eine Einstufung als geschlossenes Verteilernetz ist aber nur möglich, wenn (1) entweder keine Letztverbraucher, die Energie für den Eigenverbrauch im Haushalt kaufen, über dieses Verteilernetz versorgt werden oder (2) diese Haushaltskunden nur eine geringe Zahl ausmachen und ein Beschäftigungsverhältnis oder eine vergleichbare Beziehung zum Eigentümer oder Betreiber des Netzes unterhalten. Diese Einschränkung der Letztverbraucher schließt besonders für Verteilanlagen im Wohnbereich die Möglichkeit der Einstufung als geschlossenes Verteilernetz aus.
b) Direktleitungen
Im Fall von bestimmten dezentralen Versorgungslösungen, bspw. eine Stromleitung zwischen einer Windenergieanlage und dem Produktionsstandort eines Unternehmens, kommt eine Leitungsinfrastruktur außerhalb des Verteilernetzes in Betracht.
Nach Art. 2 Nr. 41 El-RL gibt es zwei Möglichkeiten, als eine „Direktleitung“ eingestuft zu werden:
- eine Leitung, die einen einzelnen Produktionsstandort mit einem einzelnen Kunden verbindet, oder
- eine Leitung, die einen Erzeuger und einen Versorger zur direkten Versorgung mit ihrer eigenen Betriebsstätte, ihren Tochterunternehmen und ihren Kunden verbindet.
Nach Art. 7 El-RL treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit alle Erzeuger und Elektrizitätsversorgungsunternehmen, die in ihrem Hoheitsgebiet ansässig sind, ihre eigenen Betriebsstätten, Tochterunternehmen und Kunden über eine Direktleitung versorgen können, ohne dass ihnen unverhältnismäßige Verwaltungsverfahren oder Kosten auferlegt werden. Eine ausdrückliche Ausnahme von Direktleitungen im Hinblick auf die Verpflichtungen für Betreiber von Verteilernetzen erfolgt damit nicht. Da jedoch die Begriffsbestimmung zur Direktleitung in Art. 2 El-RL im Gegensatz zu anderen Netzdefinitionen keinen Bezug zum Netz herstellt, kann angenommen werden, dass eine Direktleitung (allein) nicht zur Annahme eines Netzes/Verteilernetzes führt.
Der deutsche Gesetzgeber beschränkt sich im EnWG in § 3 Nr. 12 auch nur auf die Definition der Direktleitung. Die deutsche Rechtsprechung und -wissenschaft wie auch die BNetzA bewerten jedenfalls (bisher) den Betreiber einer Direktleitung nicht als Netzbetreiber.
Teilweise wird vertreten, dass eine Direktleitung auch dann vorliegt, wenn eine Stromerzeugungsanlage nicht nur einen Kunden, sondern auch mehrere – in der Anzahl beschränkte – Kunden versorgt. Hier ist sehr fraglich, ob dies mit der El-RL vereinbar ist.
c) Bürgerenergiegemeinschaften
Wenngleich viele Kundenanlagen die Voraussetzungen einer Bürgerenergiegemeinschaft nach Art. 16 El-RL erfüllen könnten, stellt diese – noch – keine rechts- und planungssichere Gestaltungsoption dar.
Art. 16 El-RL ermöglicht gewisse Ausnahmen von Netzregulierungspflichten für Bürgerenergiegemeinschaften. Als Bürgerenergiegemeinschaft ist eine Rechtsperson zu verstehen,
- die auf freiwilliger und offener Mitgliedschaft beruht und von Mitgliedern oder Anteilseignern, bei denen es sich um natürliche Personen, Gebietskörperschaften, einschließlich Gemeinden oder Kleinunternehmen handelt, tatsächlich kontrolliert wird;
- deren Hauptzweck nicht in der Erwirtschaftung finanzieller Gewinne besteht, sondern darin, ihren Mitgliedern oder Anteilseignern oder den lokalen Gebieten, in denen sie tätig ist, Umwelt-, Wirtschafts- oder soziale Gemeinschaftsvorteile zu bieten; und
- die in den Bereichen Erzeugung, einschließlich aus erneuerbaren Quellen, Verteilung, Versorgung, Verbrauch, Aggregierung, Energiespeicherung, Energieeffizienzdienstleistungen oder Ladedienstleistungen für Elektrofahrzeuge tätig sein oder andere Energiedienstleistungen für seine Mitglieder oder Anteilseigner erbringen kann.
Die von der El-RL vorgesehene Ausnahme mit Blick auf die Verteilerpflichten ist allerdings noch nicht ins deutsche Recht umgesetzt und kann daher – bis zu einer möglicherweise künftigen Umsetzung – nicht beansprucht werden. Zwar gibt es die Rechtsfigur der Bürgerenergiegesellschaften nach § 3 Nr. 15 EEG. Diese ermöglicht aber nur eine Ausnahme in Bezug auf die EEG-Ausschreibungspflicht (§ 22b EEG).
d) Kleine Verbundnetze und kleine, isolierte Netze
Die Rechtsfiguren des kleinen Verbundnetzes und des kleinen, isolierten Netzes bieten aktuell keine brauchbare Gestaltungsoptionen für Kundenanlagenbetreiber.
Art. 66 Abs. 1 El-RL sieht zwar bestimmte Ausnahmemöglichkeiten für kleine Verbundnetze und kleine, isolierte Netze vor. Das kleine Verbundnetz ist ein Netz mit einem Verbrauch von weniger als 3.000 GWh im Stichjahr 1996, bei dem mehr als 5 % des Jahresverbrauchs durch einen Verbund mit anderen Netzen bezogen werden. Für kleine, isolierte Netze gelten dieselben Kriterien, sie beziehen aber weniger als 5 % des Jahresverbrauchs durch einen Verbund mit anderen Netzen.
Voraussetzung hierfür ist aber, dass die Ausnahme von dem Mitgliedstaat bei der Kommission beantragt wird. Die Kommission kann die gewährten Ausnahmen sodann grundsätzlich nur zeitlich befristet erteilen (Art. 66 Abs. 2 El-RL). Entsprechende Anträge sind bis dato noch nicht von deutscher Seite gestellt worden und mithin finden sich im EnWG keine Regelungen dazu.
e) Gebietsausnahmen
Für Kundenanlagenbetreiber bieten die Gebietsausnahmen in Art. 66 Abs. 3 – 5 El-RL keine Alternative. Diese bestehen nämlich nur für Zypern, Luxemburg, Malta und Korsika und damit nicht für Deutschland bzw. deutsche Gebiete.
f) Einzelne Ausnahmen
Nicht jeder Kundenanlagenbetreiber hat alle für Verteilernetzbetreiber bestehende Pflichten zu erfüllen. So sind in vielen Vorschriften der El-RL direkt Ausnahmen für bestimmte Einzelfälle ermöglicht. Hier können die Mitgliedstaaten beschließen, diese Vorschriften nicht auf bestimmte Unternehmen oder Umstände anzuwenden.
Beispielsweise findet sich eine solche Ausnahmemöglichkeit für die Pflicht zur rechtlichen Entflechtung in Art. 35 Abs. 4 El-RL für integrierte Elektrizitätsunternehmen, die weniger als 100.000 angeschlossene Kunden oder kleine, isolierte Netze beliefern. Diese Ausnahme wurde in § 7 Abs. 2 EnWG umgesetzt.